Mittwoch, 20. Juli 2022

MÜNCHEN: LIKE LOVERS DO

die bühne der münchner kammerspiele ist diesmal eine überdimensionierte, knallbunte hüpfburg – als zufluchtsort der erinnerungen. jeder der vier türme dieser hüpfburg ist, klar doch, ein riesiges phallussymbol und jeder der vier türme macht im verlauf des abends, klar doch, schlapp. kein wunder, denn die fünf wesen (drei w und zwei m – oder doch fünf d?) in sivan ben yishais stück „like lovers do (memoiren der medusa)“ schmettern hochtaktig gefühlt 800 erfahrungen von missbrauch, übergriff, anzüglichkeit, inzest, vergewaltigung in den saal, von pinar karabulut inszeniert mit songs, als sprechgesang, als chor und unterstrichen durch eine spastische choreografie. „als ich zehn war, steckte er seinen finger in meine vulva, als würde er ein auto reparieren.“ hunderte von sätzen wie dieser. dieser text ist eine attacke, eine abendfüllende abrechnung. man verspannt sich beim zuhören. sind es die träume der frauen, die zwingend zu albträumen werden? sind es die träume der männer, die zwingend in sexualisierte gewalt ausarten? dieser tonnenschwere ballast liegt über dem abend und einmal mehr die erkenntnis, dass die welt auch nicht mehr ist, was sie noch nie war. die umkehrung der geschichte, die befreiung vom patriarchalen joch, die yishai und karabulut laut programmheft offenbar andenken und anstreben, sie gehen unter in all den verbalen bauchtritten und tiefschlägen. am ende besteigen die fünf w/m/d/l/g/b/t/i, jetzt kostümiert wie zwerge oder wichtelinnen im kindermärchen, ein schnittiges raumschiff, weiden sich vor dem start noch an der utopie, dass die zukunft ganz, ganz anders wird, und lassen doch die üble ahnung zurück, dass alles bleibt wie es ist. die vergangenheit ist die gegenwart ist die zukunft. die bühnenarbeiter winken den entschwebenden fünf müde nach. der kampf der geschlechter hat die menschheit erschöpft.

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