Donnerstag, 7. November 2019

WIEN: MIT TOKARCZUK IM NARRENTURM

vor drei wochen wollten wir in wien ins pathologisch-anatomische bundesmuseum, vulgo narrenturm. empfehlung von freunden. klappte nicht, pech gehabt, geschlossen, falscher wochentag. nun allerdings werde ich von literaturnobelpreisträgerin olga tokarczuk aufs trefflichste entschädigt. in ihrem roman „unrast“, der eigentlich kein roman ist, sondern ein ausuferndes, überschäumendes reisetagebuch, nimmt sie mich bereits auf den ersten seiten mit – in eben jenen narrenturm. geleitet von ihrem „perseverativen detoxifikationssyndrom“ (toll, nicht?) fühlt sie sich angezogen von allem, was unvollkommen oder defekt ist. „mich interessiert das unansehnliche, irrtümer der schöpfung, sackgassen. (…) ich bin der unbeirrbaren und irritierenden überzeugung, dass genau darin das wahre sein zum vorschein kommt und seine natur offenbart. (…) deshalb unternehme ich meine geduldigen reisen, auf denen ich die fehler und reinfälle der schöpfung aufspüre.“ also narrenturm. und da sieht und beschreibt sie liebevoll dinge und details, die sich mir wohl kaum auf anhieb erschlossen hätten. einer verborgenen ordnung auf der spur? doch dieses buch ist nicht einfach ein pathologisch-philosophischer blick auf die gegenwart und ihre vergangenheit, es ist vor allem eine einladung, immer wieder aufzubrechen und immer wieder abzuschweifen zu anderen geschichten, anderen menschen, anderen zeiten und perspektiven. tokarczuks sprachwucht und -eleganz hat nur einen erheblichen nachteil: nie wieder, denkt man angesichts dieser meisterschaft, nie wieder werde ich kümmerling auch nur eine einzige zeile schreiben mögen.
ach ja, und übrigens: #readmorewomen

1 Kommentar:

  1. Wenn immer wieder neu aufgebrochen wird, dann paßt Enzens-
    berger gut dazu. Die Sprachwucht Tokarczuks erstaunt mich auch.
    Aber würde es für die Detoxikation nicht genügen, einfach vor
    dem Fernseher sitzenzubleiben?
    JQ.

    AntwortenLöschen