vor drei wochen wollten wir in wien ins pathologisch-anatomische
bundesmuseum, vulgo narrenturm. empfehlung von freunden. klappte nicht, pech
gehabt, geschlossen, falscher wochentag. nun allerdings werde ich von
literaturnobelpreisträgerin olga tokarczuk aufs trefflichste entschädigt. in
ihrem roman „unrast“, der eigentlich kein roman ist, sondern ein ausuferndes,
überschäumendes reisetagebuch, nimmt sie mich bereits auf den ersten seiten mit
– in eben jenen narrenturm. geleitet von ihrem „perseverativen
detoxifikationssyndrom“ (toll, nicht?) fühlt sie sich angezogen von allem, was
unvollkommen oder defekt ist. „mich interessiert das unansehnliche, irrtümer der
schöpfung, sackgassen. (…) ich bin der unbeirrbaren und irritierenden
überzeugung, dass genau darin das wahre sein zum vorschein kommt und seine
natur offenbart. (…) deshalb unternehme ich meine geduldigen reisen, auf denen
ich die fehler und reinfälle der schöpfung aufspüre.“ also narrenturm. und da
sieht und beschreibt sie liebevoll dinge und details, die sich mir wohl kaum
auf anhieb erschlossen hätten. einer verborgenen ordnung auf der spur? doch
dieses buch ist nicht einfach ein pathologisch-philosophischer blick auf die
gegenwart und ihre vergangenheit, es ist vor allem eine einladung, immer wieder
aufzubrechen und immer wieder abzuschweifen zu anderen geschichten, anderen
menschen, anderen zeiten und perspektiven. tokarczuks sprachwucht und -eleganz
hat nur einen erheblichen nachteil: nie wieder, denkt man angesichts dieser
meisterschaft, nie wieder werde ich kümmerling auch nur eine einzige zeile
schreiben mögen.
ach ja, und übrigens: #readmorewomen
Wenn immer wieder neu aufgebrochen wird, dann paßt Enzens-
AntwortenLöschenberger gut dazu. Die Sprachwucht Tokarczuks erstaunt mich auch.
Aber würde es für die Detoxikation nicht genügen, einfach vor
dem Fernseher sitzenzubleiben?
JQ.