Samstag, 8. Juni 2019
ZÜRICH: DIE GROSSE GEREIZTHEIT
der
schiffbau des zürcher schauspielhauses ist diesmal eine mit bezaubernden
details aufwartende zauberberg-installation (bravo, thilo reuter): auf den
gerüsten zu drei seiten die betten für die liegekuren, da ein paar
salontischchen mit salontischlämpchen, dort ein weisses tütü in einer badewanne,
neben vielen jesussen auch viele blutflecken an den gekachelten wänden, röntgenbilder,
totenköpfe, bergpanoramen, einer trinkt rotwein aus der urinflasche. „die grosse
gereiztheit“ nennt karin henkel ihre adaption des thomas-mann-stoffes, nach dem
titel des letzten kapitels. sie lässt die zuschauertribüne immer wieder hineinfahren
in diese verhustete, kranke welt. wir sind die zu den heruntergekommenen
hinaufgekommenen und werden gleich gewarnt: „unser fieber ist gekommen um zu
bleiben.“ das fabelhafte ensemble röchelt und schlurft und jodelt und tanzt
durch diese szenerie. so unterhaltsam kann tiefsinniges theater sein. es ist
ein kaleidoskop der dekadenz, des stumpfsinns und der weltflucht, die letzten
tage der menschheit quasi. bezeichnend (und erschreckend), wie diese
sanatoriums-clique immer wieder versucht, das grosse ganze zu denken, über die
richtige demokratie schwafelt und über die richtige zukunft - und doch immer nur
bei der eigenen krankengeschichte landet. hans castorp, in einer viele
möglichkeiten öffnenden doppelbesetzung mit der staunenden carolin conrad und
der unterkühlten lena schwarz, bleibt einer, der diese gesellschaft nicht
verstehen kann und nicht verstehen will. der grosse krieg, der am schluss über
diese kranke welt hereinbricht, wird zum sprechchor, vom ganzen ensemble wie
kanonendonner frontal ins publikum gebrüllt. so kommt auch hans castorp dieser
welt abhanden. aus.
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