immer
wieder wird die tokioter u-bahn-station roppongi, die dominic huber auf die
bühne der münchner kammerspiele gebaut hat, in psychedelisches grün und lila
getaucht. dann erscheint aus dem hintergrund schleichend stefan merki, macht
zur heulenden musik von kazuhisa uchihashi eigenartige schlurfschritte, rudert
zeitlupenartig mit den armen und deklamiert dazu japanische wirtschaftsgeschichte:
plaza-abkommen, bubble economy, staatsanleihen, lost decades. merki ist der
geist eines investmentbankers, der sich hier vor die u-bahn geworfen hat und
bei einem jungen passanten jetzt vergebung sucht für seine sündenfälle. während
die worte wikipediamässig klingen, haben die bewegungsmuster von geist und
jungem mann etwas ungewohntes, undurchschaubares, einlullendes. das nō theater ist
ein theater der übergänge; geister suchen mit kollektiven erinnerungen aufgeladene
orte und verunsichern mit kryptischen anspielungen. regisseur toshiki okada
führt diese stark strukturierte traditionelle form an den kammerspielen mit
neuem inhalt und europäischen schauspielern eindrücklich zusammen. nach dem
schräg-witzigen intermezzo (ebenfalls fixes nō-element), in dem anna drexler
die u-bahn-station und das publikum lustvoll an verschiedenen varianten des
rollen-lernens teilhaben lässt, taucht im zweiten teil der „geist des
feminismus“ auf: eine politikerin, die im parlament von tokio bessere
unterstützung für schwangere und mütter forderte, weil das land sonst keinen
nachwuchs und keine zukunft habe – und dafür mit sexistischen zwischenrufen
niedergemacht wurde. sie steht da, kalt, aseptisch, ein dunkler engel. alles in
allem eine ausgesprochen depressive bilanz für japan: „über 30 jahre hat sich
dieser ort in eine wüste verwandelt.“ ich war noch nie in japan. ich sah nō
theater noch nie im original. ich habe keine vergleichsmöglichkeiten. geister
habe ich mir bis jetzt eindeutig sinnlicher vorgestellt.
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