Sonntag, 12. März 2017

MÜNCHEN: JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN

die einzigen warmen worte im ganzen stück kommen von rovo (jeff wilbusch), dem geistig behinderten jungen, in dem alle nur den dorfdeppen sehen. in seiner grenzenlosen verzweiflung lehnt er sich im unterholz an abram (katja bürkle), den alle nur „du schwule drecksau“ nennen. er fühlt sich wohl bei ihm und sagt ihm das auch. sonst: in jeder ecke dieses dorfes nur missgunst und kleinkrieg, in jedem gesicht verbitterung, in jeder bemerkung kaltherzigkeit („und ich dachte, der ganze dreck mit dir sei liebe“, „hätt´ ich dich doch gleich nach der geburt erwürgt“). martin kušej inszenierte martin sperrs „jagdszenen aus niederbayern“ vor zwei jahren an den münchner kammerspielen und übernahm sie jetzt an sein residenztheater. er strich das „nieder“ aus dem stücktitel (reinöd ist überall) und beginnt die szenenfolge von hinten, wo die dorfgemeinschaft den aussenseiter abram jagt und erschiesst; in abweichung zum original, wo er eingesperrt wird. bayern unmittelbar nach dem krieg, jeder gegen jeden, opfer als täter als opfer. kušej illustriert „das phänomen der jagbarkeit des menschen“ mit archaischen bildern: eine dunkle bretterwand, eine weiss getünchte mauer, bedrohliche schlagschatten, viel blut von tieren und menschen – und dazwischen fallen die einzelnen sätze wie axthiebe. axthiebe. axthiebe. die metzgerin, der knecht, die dorfhure, die kriegswitwe, alle säen und ernten rotz und mist und niedertracht. „ich komme aus exakt einem solchen dorf und kenne das alles zu genau“, wird kušej auf der ersten seite im programmheft zitiert. es ist ein kosmos, den wir kennen müssen, wenn wir uns kennen wollen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen