Donnerstag, 22. September 2016

ZÜRICH: FREISCHÜTZ OHNE WILDSAU

ich war die wildsau in der wolfsschlucht. ich spielte die wichtigste rolle in der wichtigsten szene des „freischütz“ von carl maria von weber. tief im vergangenen jahrtausend. als junger, beweglicher statist am luzerner theater. deshalb und wirklich nur deshalb habe ich zu dieser eigenartigen oper überhaupt eine nähere beziehung. jägerchöre, jungfernchöre, die wolfsschlucht als vagina-symbol, versagensängste des mannes beim schuss im dunkeln – huch, hach, und ich war teil davon. jetzt also „der freischütz“ am opernhaus zürich, ich kann’s nicht lassen. zur ouverture wird eine riesige zielscheibe aufs bühnenportal projiziert, die sich neuneinhalb minuten lang in allen psychedelischen farben verändert und bewegt, gross und klein wird und unscharf und unförmig: die panik des max, dessen beruf und liebe einzig davon abhängen, ob er bei diesem einen prüfungsschuss ins schwarze trifft. ein bild und alles ist gesagt. regisseur herbert fritsch lässt den ganzen deutschen wald links und den ganzen sigmund freud rechts liegen, die biedermeierliche lust am grauen und die fritsch’sche lust am grotesken vermengt er gekonnt zu einem grellbunten grusical. alles wird, auf höchstem professionellen niveau, radikal übertrieben. samiel, der teufel, eigentlich eine nebenrolle, ist hier ein dauerpräsenter, schmieriger conferencier. zur optischen opulenz liefert marc albrecht mit der philharmonia zürich einen reizvoll aufgerauhten romantik-sound, schaudern in fis-moll. und ja, fritsch macht’s ganz ohne wildsau. kann man. hat wohl konzeptionelle gründe. vor allem aber stand die idealbesetzung nicht zur verfügung, jener bewegliche luzerner jüngling.

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