Dienstag, 4. März 2014

MÜNCHEN: MÄRZ, DOPPELTE PERSPEKTIVE

„manchmal ist ich sehr schwer“, sagt märz, die hauptfigur in heinar kipphardts gleichnamigem roman von 1978. alexander märz ist ein hochbegabter, schizophrener künstler, dem intendant johan simons in der spielhalle der münchner kammerspiele jetzt einen abend widmet. bettina pommer hat ihm dafür einen hohen, weissen, klinischen raum gebaut; die zuschauer sitzen auf drei seiten, aufgereiht wie studenten einer psychiatrie-vorlesung. im fokus steht dann aber keine krankengeschichte, sondern eine grossartige liebesgeschichte zweier aussergewöhnlicher menschen. unter den augen von dr. kofler (sylvana krapatsch mit ausserordentlicher präsenz) turnen thomas schmauser als märz und sandra hüller als seine ebenfalls kranke freundin hanna in diesem leeren raum herum. sie reden über reiseträume und naturerlebnisse, über käseherstellung in den bündner bergen und sex, wirr und herzlich. die beiden spielen den dialog zweimal in folge, mit identischem text: im ersten durchgang ist märz der aufgedrehte, chaotische und hanna die liebevolle, naive; im zweiten durchgang ist sie die unruhige und er der ausgelaugte. dieser perspektivenwechsel ist eine schauspielerische meisterleistung. er macht deutlich, wie subjektiv die grenzen zwischen gesund und krank verlaufen, in der gesellschaft und beim einzelnen. märz verbrennt sich als christus in der krone eines apfelbaums (erfährt man aus dr. koflers akten). eine schwierige, eine traurige geschichte, die durchaus auch ihre hellen seiten hat: manchmal ist ich auch sehr leicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen