er sitzt
oben auf einer leiter, nackt, im dunkeln und mit dem rücken zum publikum.
judas. steven scharf als judas. eine geschundene kreatur. wie geht einer damit
um, dass er als verräter abgestempelt ist, dass alle mit fingern auf ihn zeigen?
die holländische schriftstellerin lot vekemans holt diesen aussenseiter nach
2000 jahren ans licht und fasst in dem einstündigen monolog „judas“ seine
position in worte. steven scharf formuliert sie in der inszenierung von johan
simons an den münchner kammerspielen laut und – ab und zu verdreht er sich zum
publikum – eindringlich. wäre das christentum ohne judaskuss zu einer
weltreligion geworden? es ist kein plumpes buhlen um rehabilitierung, es sind differenzierte
denkanstösse. die autorin, der regisseur und der schauspieler sind am menschen
interessiert, nicht am unmenschen. und das publikum wird nicht ins parkett
gesetzt, sondern ausschliesslich auf den balkon – damit es auf augenhöhe ist
mit diesem judas auf seiner leiter, mit seinem differenzierten umgang mit
schuld und scham. steven scharf spricht eine stunde lang ununterbrochen; sein
judas ist einer, der nicht mehr lange überlegen muss, sondern längst weiss, was
er sagen will. diese atemlosigkeit macht den dichten text noch dichter, und man
wünscht sich immer wieder, dies und jenes in ruhe lesen und reflektieren zu
können. was bleibt: eine sehr persönliche begegnung mit einem verletzten und
verletzlichen mann. und seine überzeugung, dass die meisten menschen nicht
aufgrund ihres glaubens handeln, sondern aufgrund ihrer zweifel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen