Freitag, 25. November 2011

MÜNCHEN: DU BIST MEIN HIRTE

eine kleine gruppe älterer leute betet am eingang der kammerspiele laut das „gegrüsst seist du, maria“ und verteilt flugblätter: „wir appellieren an alle besucher dieser veranstaltung: verzichten sie auf den besuch.“ eine sehr gesittete demo - beim gastspiel in paris bewarfen kampf-katholiken das publikum mit eiern. worum geht‘s? „on the concept of the face, regarding the son of god“ lautet der lange titel des kurzes stücks von romeo castellucci und der societas raffaello sanzio. die truppe aus cesena gilt als wegbereiterin neuer theaterformen in europa, mit wortkargem, bildstarkem theater. wir blicken in ein bühnenhohes jesus-antlitz, sanft und wach, ein schöner mann, auch ein harmloser möglicherweise. davor pflegt ein 40jähriger italienischer geschäftsmann liebevoll seinen dementen vater, wischt ihm ununterbrochen die scheisse ab, wechselt ihm die windeln, wieder und wieder, liebevoll bis zur verzweiflung. „ich möchte jesus in seiner extremsten abwesenheit treffen“, schreibt castellucci. ja, dieses stück ist eine provokation und für leute, die sich im theater einfach gut unterhalten wollen, definitiv das falsche. die unmittelbare konfrontation dieser bilder, die konfrontation von mystik und realität provoziert fragen - und überlässt die antworten dem zuschauer. das ist theater, das inspiriert und erregt. gegen ende - der demente alte sitzt heulend auf seinem bett – tauchen sechs mädels und zwei jungs auf und bewerfen die riesige ikone mit dutzenden von kleinen granaten. begleitet von dröhnendem lärm löst sich das jesus-bild auf, an seiner stelle erscheinen die worte: „you are (not) my shepherd.“

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