Montag, 14. September 2020

ZÜRICH: THE KÖLN CONCERT

trajal harrell eröffnet die neue saison am schauspielhaus zürich. der schwarze amerikanische choreograf thematisiert unseren völlig veränderten alltag, ohne simples corona-tanztheater zu machen. nein, was harrell mit sieben tänzerinnen und tänzern entwickelt, ist eine hochkonzentrierte, bewegende meditation über die suche nach einer neuen identität. sieben klavierstühle stehen vorne auf der leeren bühne, ab und zu werden sie unmerklich verschoben oder zurechtgerückt – eine einladung genau zu schauen, auch auf details zu achten. zu keith jarretts legendärem köln concert und songs von joni mitchell probieren die sieben dann immer neue klamotten, immer neue schichten, immer neue posen, mal das klassische schönheitsideal, mal eine debile allüre, ein lustvolles spiel im voguing-style. diesem extrovertierten teil folgt ein absolut intimer. jetzt tragen alle einfache schwarze kleider, mal steht einer aus dem ensemble auf, mal zwei, um mit bewegungen zu experimentieren, behutsam zunächst, mal sind es nur andeutungen, mal folgen ihnen akrobatische wirbel und ekstatische ausbrüche. wie im köln concert entsteht vieles aus dem nichts heraus und löst sich dann vielleicht auf, vielleicht auch nicht. wechselnde identitäten, fliessende identitäten, dazu beängstigend leere, manchmal schmerzverzerrte blicke. wo ist mein platz? wo will ich hin? wo gehöre ich hin? wieviel raum brauche ich? wo kann mein verletzliches ich in dieser verletzlichen welt leben? dieser aufbruch ist auch ein requiem auf noch nicht weit zurückliegende zeiten. selten schien das publikum den auf einer bühne angetönten themen und fragen so unmittelbar ausgesetzt zu sein. und selten so berührt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen