Samstag, 18. Januar 2020

MÜNCHEN: LULU, ENTSCHÄRFT

virginie despentes´ „king kong theorie“, anna gien, sheila heti, judith butler: das programmheft zu „lulu“ ist eine feministische kampfschrift. die knapp zwei stunden im marstall des münchner residenztheaters dann vergleichsweise harmlos. drei aussergewöhnliche schauspielerinnen unterschiedlichen alters – charlotte schwab (67), juliane köhler (54), liliane amuat (31) – verdreifachen die verführende und mordende lulu von frank wedekind und damit auch die perspektive des publikums. regisseur bastian kraft steckt die drei in elegante schwarze fracks, was einerseits ein pendeln zwischen den geschlechterrollen begünstigt und anderseits das revueartige des abends unterstreicht („ich muss sie leider enttäuschen, ich zieh` mich heute nicht aus“). ganz wunderbar spielen die drei lulus mit den erwartungen und projektionen der männer – und sie spielen diese männer gleich mit, teils auf der bühne, teils in videos auf grossleinwand, ein grandioses vergnügen, wie sie von masken- und kostümbildnerinnen in dr. schön, alwa, goll, schwarz und schigolch verwandelt wurden und wie perfekt die dialoge zwischen den vorproduzierten sequenzen und der live-performance funktionieren. formal also ein kurzweiliger, geglückter abend. und sonst? würde ich diese lulu heiraten wollen, mit ihrer million und trotz ihrer vorgeschichte? frage nicht ich mich, sondern fragt sie mich und alle anderen männer. immer wieder blickt eine der drei konspirativ ins publikum und stellt sich vor, was wir denken, wenn wir denken, was sie denkt, wenn sie über uns nachdenkt: ein vexierspiel mit emotionen, klischees und der frage nach der wandelbarkeit der identität. doch das programmheft hat uns in die irre geleitet, dem ganzen fehlt die emanzipatorische schärfe. diese drei frauen hätten bestimmt mehr drauf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen