Mittwoch, 29. Mai 2019

CHUR: DIE WEISE VON LIEBE UND TOD

„schade, dass selten so schön gesungen wird in der oper“, schrieb „der spiegel“ einmal über die mezzosopranistin maria riccarda wesseling. sie ist international tätig, an den grossen häusern, und jetzt für ein wunschprojekt zu ihren wurzeln zurückgekehrt, nach graubünden, ans theater chur. der westschweizer komponist frank martin vertonte mitten im zweiten weltkrieg rainer maria rilkes erzählung „die weise von liebe und tod des cornets christoph rilke“, jenes buch also, das in den kriegen tausende von jungen soldaten im tornister trugen, weil es den nerv traf, ihren nerv, ihre verzweifelte situation zwischen der ersten grossen liebe und dem dienst fürs vaterland, der nur zu oft tödlich endete. martin schrieb diese musik für eine tiefe frauenstimme und kammerorchester, eine expressive und suggestive musik, die die geschichte des jungen fahnenträgers aus der sicht der zurückgebliebenen frauen erzählt, der mutter, der geliebten, vielleicht der huren. um diese multi-perspektive zu unterstreichen, gibt regisseur nigel lowery der sängerin die schauspielerin ursina hartmann zur seite. in einer absolut nicht zwingenden burgzimmer-szenerie lässt er die beiden in wallenden weissen kleidern geisterhaft um tisch, falltüre und kerzenständer herumschleichen wie in einer uralten lucia-di-lammermoor-inszenierung. zu zweit arbeiten sie sich szenisch ab an den erinnerungen. doch das ereignis ist maria riccarda wesseling, ist diese stimme: 75 minuten lang singt sie, alle facetten dieser komplexen musik trifft sie, von der kammerphilharmonie graubünden unter philippe bach subtil begleitet, sie glüht, sie leidet, sie verzweifelt, sie nimmt uns mit auf eine reise durch seelenlandschaften. diese frau singt, in der tat, seltenschön.

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