Samstag, 18. Mai 2019
LUZERN: TELL - WIE ES WIRKLICH WAR
„es
galt jetzt, die eigenen waffenknechte abzuhalten von irgendeiner dummheit, wie
sie bewaffneten leicht unterläuft; es braucht wenig, dass bewaffnete sich
bedroht fühlen.“ was für ein kluges und weitsichtiges büchlein max frisch 1971
doch vorgelegt hat mit seinem „wilhelm tell für die schule“. zum glück kramt es
immer mal wieder wer aus der suhrkamp-ecke seiner bücherwand hervor. jetzt zum
beispiel der schauspieler sigi arnold und der musiker beat föllmi (im luzerner
kleintheater und auf anderen zentralschweizer bühnen). arnold spielt einerseits
einen vorleser auf tournee, der frischs tell in die säle und unter die leute
bringt, und anderseits einen hardcore-urner, der das alles träf kommentiert,
bezüge zur heutigen zeit herstellt, sich zum beispiel diebisch freut bei dem
gedanken, dass der teufelsstein für den bau der zweiten gotthardröhre
möglicherweise noch einmal für viel geld umplatziert werden muss, „kein problem
für die steinreichen urner“. föllmi sitzt daneben und liefert aus seiner
gigantischen klangwerk-küche einen ebenso stimmungsvollen wie witzigen
soundtrack zu dieser mythen-exegese: im putzkessel entstehen die wellen des
urnersees, kabelrohre pfeifen den föhn und die nächte in attinghausen sind auch
nicht ohne. es gibt viel zu schmunzeln an diesem abend. trotz dem ernst der
lage. irgendwie hatte frisch ja wohl schon recht: zum apfelschuss kam’s eher
nicht wegen einem sadistischen landvogt, sondern wohl weil tell als hartgesottener stierengrind die situation
eskalieren liess. und dann ein fieser mord aus dem hinterhalt als ausgangspunkt
für die befreiungsgeschichte der schweiz. fragezeichen. ausrufezeichen. der
vorleser sieht jetzt ein wenig zerknittert aus.
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