Sonntag, 17. September 2017

MÜNCHEN: CARMEN UND DER STIER IN UNS ALLEN

hier singen echte flüchtlinge statt falsche zigeuner. das gibt dieser "carmen", die jetzt im mixed munich arts, der riesigen halle eines ehemaligen fernheizwerks, gezeigt wird, eine ganz neue dringlichkeit und vitalität. der "chor zuflucht kultur" ist ein projekt mit migranten, ein bemerkenswertes projekt auf hohem musikalischen niveau. sie singen die bizet-chöre en français genau so leidenschaftlich wie dazwischen die verträumten und traurigen balladen aus ihrer arabischen heimat. dieser chor - als strassenkämpfer, als näherinnen, als dealer, als heimatlose - bildet das emotionale kraftzentrum der inszenierung. dirigent ernst bartmann und regisseur andreas wiedermann (das opera-incognita-team) erzählen die rohe geschichte von carmen in diesem rohen raum von hinten, was erstaunlich gut funktioniert: die finale verzweiflungstat, die ermordung carmens durch don josé, wird zum roten faden, zur rahmenhandlung, in die die vorherigen akte als rückblenden eingebaut werden. der tod wird durch diese konstruktion noch präsenter, er schleicht sich nicht langsam an, er überschattet hier alles von beginn weg mit dramatischer musikalischer wucht. carmen, von cornelia lanz furios gesungen, ist permanent in bewegung, mal am ende der halle, mal in der obersten galerie, mal im grellen licht, mal im dunkeln, rastlos, radikal, eine gefangene ihrer gefühle auf der suche nach freiheit. sie findet sie nicht. sie findet den tod. das ist die geschichte von carmen, die geschichte der flüchtlinge und letztlich die geschichte über den stier in uns allen: freiheit oder tod. eine alternative, die oft keine ist.

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