Samstag, 11. Juni 2011

ZÜRICH: DER STEIN IN MEINEM WEG

das kann nur tschechow! die grenze zwischen komödie und tragödie verwischt er meisterlich und bis zur unkenntlichkeit. seine melancholischen und depressiven figuren führt er alle und permanent an den abgrund und lässt sie dort schwindeln und tanzen, gleichzeitig. schon in seinem erstling „platonow“, den er noch als gymnasiast schrieb und der jetzt am schauspielhaus zürich gegeben wird, ist die verzweiflung oft zum brüllen komisch und der witz von tiefster tristesse. russische provinz im vorletzten jahrhundert, landleben, langeweile, lebensmüdigkeit. die zürcher intendantin barbara frey stellt das tschechowsche personal in einen grün getünchten runden raum, zeitlos, ortlos, ohne fenster: der wartesaal des lebens. ein ort von ausgesuchter hässlichkeit. da reden sie und reden und flirten und verachten sich. ein hervorragendes ensemble badet lustvoll in diesem wahnsinn, schwärmerisch und destruktiv. der ganze zerfall der ganzen gesellschaft in ganzen drei stunden: pas mal, herr tschechow, pas mal, frau frey! im zentrum turnt immer michael maertens als dorfschullehrer platonow herum, ein schleimiger fraueneroberer und widerlicher zyniker, brillant allerdings in seiner selbstdiagnose: „ich bin der stein in meinem weg!“ wenn in einem stück eine pistole vorkommt, muss auch geschossen werden, hat tschechow später einmal gesagt – und das hier bereits praktiziert. tot ist am ende: platonow. kein suizid.

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