Montag, 24. Oktober 2022

MÜNCHEN: HUNGRY GHOSTS

völlig aufgelöst rennt die schauspielerin charlotte (katharina maria schubert in hochform) durch die kulissen, es klopft von allen seiten, sie reisst türen auf und schlägt sie wieder zu, kurvt über die hinterbühne, versucht dem klopfen auszuweichen, immer schneller, es klopft immer häufiger, charlotte hechelt und schwitzt. es sind die geister der vergangenheit – und der gegenwart – die da anklopfen. man wird sie nicht los, wenn man wegrennt. charlottes panischer lauf ist die dominante szene in „hungry ghosts“, das die polnisch-französische regisseurin anna smolar auf der basis eines textes von mira marcinów mit dem ensemble der münchner kammerspiele erarbeitet hat. eine frau erzählt, wie als kind ihre schwester ertrank und sie nicht zur beerdigung durfte, eine andere, wie sich ihr onkel im keller erhängte. die schatten der erinnerungen kommen ins spiel, „der ganze dreck der familie“ und „die loyalität zu den toten“. es sind bewegende zeugnisse. „das trauma will, dass du ihm eine schüssel bringst“, sagt eine mal. sie reden über ihre seelischen wunden, sie singen mal voller wut und mal voller poesie, ihre körper zucken unter den biografischen altlasten und manchmal verschwinden sie tanzend im nebel – wie die zerfaserten erinnerungen. nicht immer gelingt die überwindung des schweigens. eigentlich sollte charlotte die hauptrolle in einer boulevardkomödie spielen und, ja, türen aufreissen und wieder zuschlagen, den liebhaber verstecken und den gehörnten ehemann ablenken. mit dieser wiehernden klapperkomödie als rahmenhandlung hätte anna smolar dem grossartigen abend wohl etwas von seiner schwere nehmen wollen. keine gute idee. traumata, die sich im erbgut ablagern, und slapstick sind eine toxische mischung.   

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