Donnerstag, 15. April 2021

ZÜRICH: BEI RICHTER RUMSTEHEN

diese sätze von gerhard richter lassen mich nicht mehr los: „ich habe in einem unscharfen bild noch nie etwas vermisst. im gegenteil, man sieht viel mehr darin als in einem scharfen bild. das bild ist offener.“ unschärfe als mehrwert, mehrdeutigkeit als reichtum! das kunsthaus zürich widmet dem hochbetagten deutschen jetzt eine grosse retrospektive: der vierwaldstättersee von morschach aus, unscharf (dies auch das plakatmotiv zur ausstellung); st. moritz, unscharf; st. gallen, unkenntlich; die langgezogene ruhrtalbrücke bei mülheim, in diffusem licht; die karge landschaft um den teyde-vulkan, verwischt. 140 landschaftsbilder, die sowohl einzeln als auch in dieser musealen üppigkeit eine unbändige sinnliche kraft ausstrahlen. immer wieder hat sich richter auf die suche nach dem verlorenen paradies gemacht: seine landschaften sind sehnsuchtsorte, und er lädt die betrachterin und den betrachter ein, diese seine sehnsucht zu teilen. nicht nach der natur hat er gemalt, sondern nach fotografien; seine bilder (mehrheitlich öl auf leinwand) sind also immer bewusste second-hand-interpretationen. dieser ansatz und die unschärfen, die schatten, die gemalten, geschabten und gerakelten verwischungen schaffen distanz: die romantische sicht auf die natur wird vom kritisch-hinterfragenden blick auf schritt und tritt begleitet. wobei das mit schritt und tritt im zürcher kunsthaus so eine sache ist: sehr viele leute reissen sich jetzt verständlicherweise um diese richter-erfahrungen, man steht und wartet und steht und hätte so ein bild gerne mal ganz für sich. noch so eine sehnsucht.  

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