Montag, 23. Mai 2016

MÜNCHEN: SCHULD UND SÜHNE

in seiner schmuddeligen wg-küche versucht er das blut vom beil abzuwaschen. doch dann hört er draussen die kumpels kommen. im letzten moment verschwindet das beil im kühlschrank. die grundspannung ist sofort da und sie ist enorm: jedes mal, wenn sich jemand dem kühlschrank nähert, zuckt raskolnikow zusammen, schwitzt, bekommt fiebrige augen. das verbrechen, für das er sich ideologisch zu legitimieren meinte („um des sozialen fortschritts willen ist es grossen menschen erlaubt, lebensunwertes leben zu vernichten“) und das er kühl begangen hat, es macht ihn krank. paul behren spielt diesen raskolnikow am münchner volkstheater herausragend, nervös schwankend zwischen intellektueller überlegenheit und überheblichkeit auf der einen und psychischer und physischer erschöpfung auf der anderen seite. ein junger mann mit durchaus sympathischen zügen, man kann als schweizer zuschauer die parallelen zum vierfachmord von rupperswil nicht abschütteln. schuld und sühne, verbrechen und strafe, übertretung und zurechtweisung – die juristischen und moralphilosophischen begriffe, die dostojewski in seinem roman über dutzende, über hunderte von seiten verhandelt, nimmt christian stückl in seiner inszenierung als basis für energiegeladene, aggressive, auch mal schräge wg-diskussionen. ein cleverer kunstgriff, voller respekt vor dostojewski, ein dichter abend, dicht am dichter.

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