Mittwoch, 18. Juni 2014

MÜNCHEN: REISE ANS ENDE DER NACHT

„ich bin schriftsteller, ich bin arzt, ich bin mörder.“ ferdinand bardamu, der ich-erzähler in louis-ferdinand célines autobiografischem roman „reise ans ende der nacht“, überlebte verwundet den ersten weltkrieg, landete in der psychiatrie, als hygieniker in afrika, am fliessband bei ford in detroit und wurde schliesslich armenarzt in einer pariser vorstadt. das hinterlässt spuren. das resultat: 650 seiten hirngespinste. das war 1932 literatur jenseits aller konventionen und ist ein gefundenes fressen für frank castorf, der den ganzen schmutz dieses lebens am münchner residenztheater als viereinhalbstündigen fiebertraum inszeniert. aleksandar denic baut ihm dafür ein verwinkeltes kongo-hüttendorf auf die drehbühne, mit benzinkanistern, riesenventilatoren, alten waschmaschinen und einer demolierten croix-rouge-ambulanz. auf diesem spielplatz der hoffnungslosigkeit wird selbst für castorf-verhältnisse viel gebrüllt und geplärrt, selbst für castorf-verhältnisse viel per video aus dem off gebeamt. dieser abend ist literatur, theater, kino und verzweiflungsakt in einem und wurde konsequenterweise ans berliner theatertreffen eingeladen. verschwitzt und verzweifelt torkeln bibiana beglau und franz pätzold, die sich bardamu und sein alter ego robinson furios teilen und darin abwechseln, über verblutende frauen, irre soldaten, zuhälter und machtmenschen – ein erbarmungsloser, bewegend gespielter marathon des grauens. im stillsten moment des abends monologisiert beglau ein lebendes huhn in die offensichtliche bewusstlosigkeit. es ist eine reise ans ende der nacht. keine ankunft dort. keine erlösung.

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