mal ist der täter schwarz und das
opfer weiss, mal ist der täter weiss und das opfer schwarz. erniedrigung,
schiessereien, nötigung, raub, vergewaltigung, das volle programm, kein
leichter abend. weshalb dieses stück, weshalb jetzt? „disgrace“ von j.m. coetzee erschien 1999, ein roman über das
schwierige zusammenleben im südafrika der post-apartheid. regisseur luk
perceval bevölkert die bühne der münchner kammerspiele für seine version von „schande“ mit vier dutzend
schwarzen schaufensterpuppen, stummen farbigen beobachtern, doch mehr als die
politische dimension interessiert ihn die universelle (deshalb dieses stück, deshalb jetzt): was die triebe mit den
menschen anrichten und wie sexuelle übergriffe jedes leben aufs radikalste
verändern. stephan bissmeier zeigt professor lurie, der gerne eine kammeroper
über lord byron schreiben würde, wegen einer affäre mit seiner studentin melanie
dann aber den uni-job verliert, als gefangenen seiner begierden, in brenzligen
situationen wahlweise zynisch oder aggressiv reagierend. vielschichtiger
angelegt ist seine tochter lucy, lesbisch und auf dem land lebend, wohin sich
lurie flüchtet; nach einer vergewaltigung durch schwarze jungs entscheidet sie
sich, das kind zu behalten. warum, das bleibt ihr geheimnis, sie macht nicht
viele worte, doch brigitte hobmeier lässt keinen zweifel, wie sehr sie um diese
entscheidung gerungen hat und wie sehr sie hofft, die richtige antwort gefunden
zu haben. diese inszenierung bietet eine tiefenbohrung in einer welt, die nicht
einfach schwarz/weiss ist. unmittelbar vor mir, in reihe 1, sitzt ein pärchen,
er ü60 mit akkurat geföhnter grauer mähne, sie u30; sie halten händchen,
turteln, flüstern sich pennälermässig dinge ins ohr. sie könnten professor
lurie und seine studentin sein, doch das stück scheint ihnen nichts zu sagen.
seltsam.
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