Mittwoch, 22. Februar 2012

AIROLO: DAS KALB VOR DER GOTTHARDPOST

der emeritierte germanistik-professor peter von matt versteht es nicht nur trefflich, den worten auf den tiefsten grund zu gehen, der 75jährige erweist sich auch als hervorragender bildbetrachter. für seinen neuen essay-band „das kalb vor der gotthardpost“ (hanser) hat er sich eine schweizerische ikone vorgenommen, die die tremola hinunterrasende „gotthardpost“ eben, die rudolf koller 1873 malte und die heute im zürcher kunsthaus beheimatet ist. ausgehend von diesem bild – „die kühe schauen einem ereignis zu, das ihre fassungskraft übersteigt“ – schreibt von matt die seelengeschichte einer nation, die gefangen ist in der verquickung von fortschrittsglauben und konservatismus, „ein janusköpfiges voraus- und zurückschauen zugleich“. brillant durchstreift er literatur und politik und seziert die verherrlichung einer längst überholten oder nie dagewesenen idylle: „das problem für die schweiz ist, dass die welt ihr diesen arkadischen selbstentwurf lange zeit abgenommen und begeistert bestätigt hat.“ wohin das führt? da wird von matt sehr konkret – ohne namen zu nennen: „noch immer kommen sich leute, die stadtnah und an bevorzugter lage in angenehmen villen leben, als geborene bergler vor, spielen im nadelstreifenanzug den politischen wurzelsepp und werden dafür von andern synthetischen berglern beklatscht.“ glasklar wie einst frisch, messerscharf wie einst dürrenmatt – die lektüre ist ein intellektueller hochgenuss.

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