Mittwoch, 3. Dezember 2025

ROMA: LOHENGRIN

"mein lieber schwan"? gar nix schwan. an der römer oper wird lohengrin, der herbeigeträumte grosse problemlöser, nicht von einem schwan auf die bühne gezogen, nein, dieser lohengrin, ganz in weiss, zieht selber - einen ebenso weissen kindersarg. elsa, die holde, wird zu unrecht verdächtigt, ihren kleinen bruder beseitigt zu haben, um an die macht zu gelangen. doch der ist nicht tot, sondern wurde von elsas rivalin ortrud verzaubert, genau, in einen schwan. richard wagners rittermärchen ist komplex und nicht immer stringent. regisseur damiano michieletto, der für seine klugen deutungen nördlich der alpen deutlich mehr geschätzt wird als in seiner heimat, seziert bei seinem wagner-debut höchst präzis die verstrickungen und verzweiflungen dieser figuren, stellt sie in einem abstrakten raum richtiggehend aus, ihre hoffnungen, ihre visionen, ihre albträume, ihre panik. der kindersarg sorgt immer wieder für schockmomente, selbst zum hochzeitsmarsch, auch der totgeglaubte junge erscheint plötzlich und gespenstisch und wie bomben hängen riesige schwaneneier vom himmel, mehr und mehr. diese menschen sind getriebene, von ambitionen und ängsten gequälte, das geht unter die haut. absolut packend, wie alle ihre rollen nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch verinnerlichen und durchdringen. dmitry korchak in der titelrolle, hell strahlend im forte, leise leuchtend im pianissimo und mit perfekter diktion, wird dem derzeit weltbesten lohengrin, klaus florian vogt, schon bald ernsthaft konkurrenz machen. dirigent michele mariotti kostet das sphärische und das wuchtige des romantischen klangzaubers gleichermassen aus. zusammen mit den vieldeutigen bildern und symbolen verdeutlicht auch er, welch raffinierter psychologe wagner war. als der kleine sarg einmal geöffnet wird: nur lauter weisse federn. der ganze wahn funktioniert auch ganz ohne schwan.

Montag, 24. November 2025

LUZERN: ROBIN HOOD

wenn es sich die bande von robin hood nach der pause gemütlich eingerichtet hat im sherwood forest, mit superpatenter baumhütte, alter badewanne irgendwo im laub, farbigen glühlämpchen und gegrillten wildschweinwürstchen, dann staunt man, dass die begeisterten kinder im luzerner theater nicht gleich auf die bühne stürmen und diesen abenteuerspielplatz entern. mit dem diesjährigen kinderstück ist der schauspielchefin (und künftigen co-direktorin) katja langenbach und der bühnenbildnerin katrin hieronimus ein coup gelungen. die geschichte vom rächer der enterbten (max faatz als rundum liebenswürdiger kerl in der titelrolle) wird hier als kurzweilige lektion über freundschaft, freiheit und gerechtigkeit richtig cool erzählt, nach einem text von john von düffel. in zeiten, wo kinder die visuellen welten von games und ki verinnerlichen und täglich mit reizüberflutung zu kämpfen haben, muss sich ein theater ja schon sputen, um noch einigermassen mithalten zu können. die luzerner inszenierung schafft das mit den schönsten theaterillusionen: nebel schleichen durch den sherwood forest, geheimnisvolle lichter tauchen auf, eine feuersbrunst in der ferne, mal schneit es vom bühnenhimmel, mal steckt jemandem ein dolch im kopf, der volle theaterzauber. und es gibt viel action: stockkampf, fetzige musik zum mitstampfen und das grosse pfeilbogenschiessen aus der mitte des zuschauerraumes als witzige computeranimation auf dem eisernen vorhang. die kinder fiebern eifrig mit, das ist absolut ansteckend: eltern und grosseltern dürfen sich noch einmal ganz, ganz jung fühlen, ein spass der besonderen art. remember „peterchens mondfahrt“ 1961 oder so…..

Samstag, 22. November 2025

MÜNCHEN: AND THE WINNER IS.....

…..selin besili from switzerland! die junge frau, die als tochter kurdischer eltern im kanton schwyz aufwuchs und am film department der hochschule luzern studierte, gewinnt am festival of future storytellers in münchen den mit 10´000 euro dotierten hauptpreis für den besten film aus den deutschsprachigen ländern plus den spezialpreis für den "most unique film", den originellsten film im wettbewerb. „unser name ist ausländer“ ist besilis bachelor-abschlussfilm. sie rekapituliert und reflektiert darin ihre jugend, als die schweiz zwar ihre heimat war, ihr zuhause, und sie sich doch immer wie fremde fühlen mussten, sie macht dies gemeinsam mit ihren drei geschwistern: alle vier total authentisch, sympathisch, differenziert, einfach den alltag beschreibend, nie grummelnd, nie nachtragend. im sommer war dieser eindrückliche kurzfilm bereits im luzerner open-air-kino zu sehen (hier mehr dazu: BRANDER LIVE vom 5.8.25). selin besilis siegerfilm steht stellvertretend für den trend, der sich beim festival of future storytellers während der ganzen woche manifestierte: das dokumentarische überwiegt zunehmend das fiktive, die filme sind inhaltlich oft autobiografisch geprägt und formal sehr persönlich umgesetzt: handkamera und schwyzer mundart bei den vier besilis, am festival dann der not gehorchend mit englischen untertiteln und als „our name is foreigner“. es geht in diesen neuen filmen um beziehungen, freundschaften, verluste. in „death’s peak“ (der den publikumspreis gewann) verarbeitet der engländer willy fair den suizid seines stiefvaters - in einer animation mit einer herzerweichenden puppe. in „my friend song zhi“ beschäftigt sich xia fan sehr poetisch mit einer episode ihrer jugend, als sie als einzige in ihrem quartier einen zugang zu einer schrulligen, zurückgezogen lebenden alten fand. diese geradezu intimen geschichten sind die intensivsten. man darf sich freuen über diese future storytellers.

Donnerstag, 20. November 2025

MÜNCHEN: WHAT THE CITY

eine stadt hinterfragt sich. ist münchen eine safe city? big city? racist city? pride city? pop city? art city? rich city? green city? fesch city? my city? das münchner stadtmuseum ist das grösste kommunale museum deutschlands und derzeit wegen einem umfassenden umbau räumlich reduziert, was das museum zum anlass nimmt, mit der ausstellung „what the city“ auch den umbau der ganzen stadt zu thematisieren, laut nachzudenken über das, was positiv verbucht werden kann, und das, was anders werden sollte. an fakten mangelt es nicht: 760‘000 autos sind hier zugelassen, münchen ist so stark versiegelt wie kaum eine andere deutsche grossstadt, selbst die berühmte theresienwiese ist längst keine wiese mehr (green city?!). oder: jede sechste person hat hier ein einkommen unter der armutsgrenze, es herrscht totale wohnungsnot, dafür stehen 1,5 millionen quadratmeter bürofläche leer (rich city?!). oder: in keiner anderen deutschen stadt sind in den vergangenen jahrzehnten so viele menschen durch rassistisch und antisemitisch motivierte anschläge zu tode gekommen (racist city, safe city?!). oder: 525‘000 berufspendlerinnen strömen tag für tag in die stadt (my city?!). jede menge herausforderungen fürs zusammenleben, für die zugehörigkeit, für die zukunft. „wofür gehst du auf die strasse?“ wird der besucher an einer stelle gefragt. hunderte von zetteln hängen bereits an der wand, kaum ein anliegen fehlt, doch eines liegt mit abstand vorne: klima, klima, klima. im märz 2026 werden die kommunalen behörden und der oberbürgermeister neu gewählt. wer „what the city“ gesehen hat, wird nicht mehr bloss aufgrund der porträts auf den plakaten entscheiden.