Freitag, 24. Juni 2016

LONDON: BREXIT

brexit! 17.4 millionen ja, 16.1 millionen nein. von den 18- bis 24jährigen votierten 75 prozent für den verbleib in der eu. sie wurden überstimmt von denen, die die zukunft bereits hinter sich haben. die einheit von grossbritannien ist gefährdet. die einheit europas ist gefährdet. und für mich ist dies der letzte tag am redaktionsdesk. bye-bye, britain. bye-bye, srf. what a day.

Freitag, 17. Juni 2016

LUZERN: IL VIAGGIO A REIMS

nun, eine sternstunde ist das nicht, was dominique mentha dem luzerner theater zum ende seiner 12jährigen direktionszeit beschert hat: clowns mit roten knollennasen spielen ihre vorhersehbar dümmlichen spielchen, mal mit bananenschalen, mal mit sprühdosen, mit regenschirmen, mit leeren bilderrahmen und mal gucken sie - witzig, witzig - unter einen schottenrock. rote nasen, man hätte gewarnt sein müssen. eigentlich erzählt gioacchino rossini in seiner opernkomödie "il viaggio a reims" die geschichte einer bunten gesellschaft, die zur krönung von charles X. unterwegs ist, wegen kutschenmangel aber in der französischen pampa strandet. bei diesem umherziehenden volk dachte mentha zuerst an zirkus und dann an die roten nasen (figurieren die roten nasen nicht auf dem theater-index? noch vor dem trockeneis?). der wahre charme dieser aufführung steckt in den dutzenden von zirkuskostümen, die susanne hubrich entworfen hat: grelle, schräge, opulente wunderwerke aus tüll und taft - eine prächtige augenweide, die für manches entschädigt. der herr direktor hat sich für "il viaggio" entschieden, weil dieses öperchen rollenfutter für 15 solistinnen und solisten hergibt; das ganze ensemble und ehemalige, die längst an grössere häuser weitergezogen sind, werden hier noch einmal versammelt, bevor sie heute abend definitiv adieu sagen: der türke singt und spielt den russen, die brasilianerin tritt als französische contesse auf, die koreanerin als polin, der pole als englischer lord, die rumänin als tirolerin, der amerikaner als spanischer grande. oper ist so international wie fussball. mindestens.

Freitag, 3. Juni 2016

LUZERN: NORMA

verzweiflung total. norma übergiesst sich – in einer schäbigen, leicht brennbaren holzkulisse – mit benzin, hat die zündhölzer bereits in der hand, die ihr adalgisa, ihre durch die liebe zum gleichen mann zur rivalin gewordene freundin im allerletzten moment und mit der letzten kraft entreisst. die beiden fallen vor verzweiflung und erschöpfung zu boden – und singen dann eines der betörendsten frauenduette der opernliteratur, liegend. nadja loschkys luzerner inszenierung von bellinis „norma“ ist reich an solch emotional aufgeladenen personenkonstellationenen. die komplexe dreiecksbeziehung mit einem offizier der besatzungsmacht und die noch komplexere ambivalenz zwischen öffentlicher rolle als der keuschheit verpflichtete priesterin und privatem verlangen und verzehren entwickelt loschky kongenial zu bellinis grandioser seelenmusik. morenike fadayomi, bei der première im märz noch kurzfristig eingesprungen und entsprechend nervös, erweist sich jetzt als grossartige norma; sie ist in dieser rolle definitiv angekommen, mit einer warmen, kraftvollen, differenzierten stimme und als eindrückliche darstellerin. selbstbewusst und kämpferisch in ihrer öffentlichen rolle, liebevoll und verunsichert in der privaten – und mit ihren funkelnden augen und ihrer dunklen haut im blütenweissen kleid auch optisch ein highlight. daneben fallen die anderen deutlich ab, die einen stimmlich (marie-luise dressen als zu grelle adalgisa), den anderen fehlt die darstellerische tiefe (carlo jung-heyk cho als liebhaber, flurin caduff als normas vater). und howard arman dirigiert das luzerner sinfonieorchester schnell und laut, an bellinis melodienreigen scheint ihn der effekt bedeutend mehr zu interessieren als die faszinierenden facetten, was dazu führt, dass er mit seinem fortissimo-furor nicht nur das kleine theater beinahe sprengt, sondern auch die stimmen immer wieder zudeckt.