Montag, 4. April 2022

MÜNCHEN: WER IMMER HOFFT, STIRBT SINGEND

um himmels willen, denkt man beim studium des programmhefts vor der première, bin ich da in den master-studiengang dramaturgie der ludwig-maximilians-universität geraten? „angesichts der sich dieser tage wieder in extremis abbildenden klüfte zwischen geschichte und eigensinn, öffentlichkeit und erfahrung oder der zunehmend disparat verschobenen massverhältnisse des politischen, scheint die intensivierte auseinandersetzung mit einem in jeder hinsicht überbordenden werk zumindest situationsadäquat.“ von mimesis ist die rede und von heterotopie und der titel der produktion an den münchner kammerspielen tönt auch eher sperrig: „wer immer hofft, stirbt singend – reparatur einer revue.“ man befürchtet kopfigstes theater. doch weit gefehlt: regisseur jan-christoph gockel beweist einmal mehr, dass er aus anspruchsvollsten texten sinnlichstes schauspiel machen kann. auf der bühne ein bunter zirkuswagen, lichtergirlanden, ein feuerspeiender drache und andere putzige tier-marionetten von michael pitsch: zauberhafte szenerie. mit einem höchst diversen ensemble und viel poesie erzählt gockel nach motiven des filmemachers und philosophen alexander kluge – unter anderem – die geschichte der leni peickert (julia gräfner, schlicht grandios), die von ihrem in der manege zu tode gestürzten vater mit dem zirkus auch die lust am unmöglichen erbt  (warum nicht endlich elefanten an ballonen in die zirkuskuppel hieven?), dann den zirkus modernisieren will, ihn ans fernsehen verrät und phänomenal scheitert. eine parabel auf reformstau, illusionen, allmachtphantasien, bremsmechanismen – auf die politik also. und eines hat leni im zirkus definitiv gelernt: „der weg ist nicht zu ende, wenn das ziel explodiert.“ begeisterter applaus.

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