Samstag, 20. Mai 2017

LUZERN: DER MENSCH ERSCHEINT IM HOLOZÄN

„der teufel tanzt es mit mir“, „wahnsinn fasst mich an“, „vernichte mich, dass ich vergesse, dass ich bin“, so und ähnlich notiert gustav mahler in den entwürfen zu seiner zehnten, schliesslich unvollendeten sinfonie; nach dem absprung seiner alma steckt der komponist in einer existenziellen krise. genau wie herr geiser, der protagonist in max frischs holozän-erzählung, dem in seinem tessiner rustico die hirnzellen allmählich abhanden kommen. in beiden werken endzeitstimmung, in beiden fällen autobiographisch grundiert. am luzerner theater kombiniert regisseur felix rothenhäusler die beiden: im ersten teil frisch pur, im zweiten teil frisch durchsetzt mit mahler-fragmenten, im dritten teil mahler – eine reise durch menschliche ängste und abgründe, eine steigerung zum unfassbaren, transzendenten. ein paar blitze zucken quer über die bühne, zum donner von wort und musik. so weit, so bestechend. doch der schauspieler adrian furrer, in einem massiv irritierenden van-gogh-t-shirt, deklamiert hektisch an der rampe und kriegt die subtilität des frisch/geiser-monologs nicht hin. und dirigent winston dan vogel kommt mit den spätromantischen klangfarben nicht klar, das mahler-universum bleibt weit entfernt, die querflöten quietschen, die hörner sabbern, so schlecht habe ich das luzerner sinfonieorchester lange nicht gehört (pleistozän). so will, so kann sich kein ganzes ergeben. dass das luzerner theater vermehrt experimentiert, ist erfreulich. dieses experiment jedoch wird weder mahler noch frisch gerecht, man muss es als missglückt bezeichnen.

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