Montag, 10. April 2017

LUZERN: LA TRAVIATA, TAUMEL ZUM TOD

„abbandonata in questo popoloso deserto che appellano parigi!“ sie fühlt sich verlassen, verloren, völlig einsam in dieser wüste namens paris. violetta valéry, die an tuberkulose erkrankte edelkurtisane aus giuseppe verdis „la traviata“, steht im luzerner theater die ganzen zweieinhalb stunden allein auf der vorbühne; alle anderen singen nur aus dem dunkel der oberen ränge des zuschauerraums, sind bloss stimmen in ihrem kopf, ferne erinnerungen, fieberträume. so radikal wie in benedikt von peters inszenierung für die staatsoper hannover, die er jetzt als intendant nach luzern übernommen hat, so radikal und so tief anrührend hat man diese oper noch nie gesehen. phänomenal gestaltet die amerikanische sopranistin nicole chevalier die rolle als rauschhaft erregten taumel zum tod. umgeben und immer wieder neu verführt von den requisiten ihres lebens – champagnergläser, luftschlangen, maquillage, die berühmte kamelie – keimt ihre sehnsucht nach echter liebe noch einmal auf, die sich mit alfredo zu erfüllen schien und dann durch dessen vater brutal gekappt wurde. zu verdis melodien, die clemens heil wunderbar warm und weich dirigiert und die immer irgendwo auch hoffnung auf ein besseres leben durchscheinen lassen, steigern sich ihre seelenqualen, sie irrt – brillant in allen stimmlichen schattierungen – wie eine wahnsinnige durch erlebtes und ersehntes, mal ruht sie, mal rast sie, nie kann sie sich diesem schlachtfeld der gedanken und gefühle entziehen. diese frau verzehrt sich für ihre utopie, erst der tod bringt ihr licht und erlösung. das sichtlich bewegte publikum bedankt sich bei der darstellerin, was in luzern ausgesprochen selten vorkommt, mit einer standing ovation. dieser monolog in der wüste von paris wird lange nachklingen.

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