Samstag, 23. April 2016

MÜNCHEN: DAVOS FRÖSTELT UND HÜSTELT

ganz hinten im ausstellungsraum des münchner literaturhauses schneit es. ununterbrochen. es schneit über mehrere lagen von gazevorhängen. video-flocken. dazwischen kurz bilder von tief verschneiten bäumen, meterhohe schneeverwehungen, alles nur weiss, weiss, blendend weiss und dann wieder weg, dann schneit es einfach wieder, ununterbrochen, kein weg ist auszumachen und kein ziel. diese installation ist der höhepunkt einer ausstellung über thomas manns „zauberberg“: hans castorps verirrung und verwirrung im schnee, die mann auf über 40 seiten ausbreitet, wird hier zur sinnlichen erfahrung. seine wanderung zwischen romantischer todesfaszination und lebenswille beendet unsere wanderung durch drei salons, die die atmosphäre der luftkurhäuser atmen und die entstehung des gigantischen davos-epos lustvoll erläutern. hier entdeckt man, dass die kompletten gästelisten der kompletten davoser hotellerie regelmässig publiziert wurden (diskretion? datenschutz?). hier erfährt man, wie pikiert gerhart hauptmann reagierte, als er gewahr wurde, dass seine sämtlichen schlechten züge für den mynheer peeperkorn modell standen. hier hört man thomas mann über die melodien sinnieren, die das grammophon im roman wieder und wieder spielt. hier stellt man mit staunen fest, dass der autor über die tuberkulose ganze abschnitte aus fachbüchern übernahm (heute würde der „zauberberg“ wohl hinter einer plagiatsaffäre entschwinden). man verlässt dieses bijou von ausstellung beschwingt und bereichert und – weil sie aus versteckten lautsprechern permanent behüstelt wird – doch auch ein wenig krank und reif für davos.

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