Samstag, 13. September 2014

ZÜRICH: DREI SCHWESTERN

ein schäbiges landhaus in der russischen provinz, die fenster sind schmutzig und die sofas durchgesessen, das leder abgewetzt, es mieft zwischen möbeln und menschen. leben, falls überhaupt, war früher. jetzt nur noch: hohe räume, tiefe melancholie. alle wollen weg hier, alle wollen nach moskau. olga (friederike wagner) ist unglücklich als lehrerin und versucht das erfolglos zu überspielen, mascha (sylvie rohrer) ist unglücklich verheiratet, stürzt sich auf den nächstbesten und kann dem leben selbst aus einem spektakulären kopfstand heraus keine neue perspektive abgewinnen, irina (dagna litzenberger vinet) ist unglücklich verliebt und irgendwie auch ins unglück verliebt. barbara frey findet in ihrer inszenierung von tschechows „drei schwestern“ am schauspielhaus zürich gestochen scharfe figurenzeichnungen, mit den drei hervorragenden protagonistinnen ebenso wie beim sie umgebenden jammerhaufen von männern. zu diesen zeichnungen entwickelt sie eine atemberaubende sprach-choreografie: rhythmuswechsel, modulationen, immer wieder auch stumme szenen, zwischentöne von geheucheltem mitgefühl bis gift und galle, alles stimmt perfekt in diesen dialogen. nach moskau also? natürlich nicht, keiner hebt den arsch, die energie wird vom selbstmitleid gegen null gefahren. bei der uraufführung 1901 in moskau war das publikum zu tränen gerührt. was tschechow, der gegen die lethargie stacheln wollte, verständlicherweise sehr ärgerte. in zürich sitzt der stachel.

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