ein schäbiges landhaus in der
russischen provinz, die fenster sind schmutzig und die sofas durchgesessen, das
leder abgewetzt, es mieft zwischen möbeln und menschen. leben, falls überhaupt,
war früher. jetzt nur noch: hohe räume, tiefe melancholie. alle wollen weg
hier, alle wollen nach moskau. olga (friederike wagner) ist unglücklich als
lehrerin und versucht das erfolglos zu überspielen, mascha (sylvie rohrer) ist
unglücklich verheiratet, stürzt sich auf den nächstbesten und kann dem leben
selbst aus einem spektakulären kopfstand heraus keine neue perspektive
abgewinnen, irina (dagna litzenberger vinet) ist unglücklich verliebt und
irgendwie auch ins unglück verliebt. barbara frey findet in ihrer inszenierung
von tschechows „drei schwestern“ am schauspielhaus zürich gestochen scharfe
figurenzeichnungen, mit den drei hervorragenden protagonistinnen ebenso wie
beim sie umgebenden jammerhaufen von männern. zu diesen zeichnungen entwickelt
sie eine atemberaubende sprach-choreografie: rhythmuswechsel, modulationen, immer
wieder auch stumme szenen, zwischentöne von geheucheltem mitgefühl bis gift und
galle, alles stimmt perfekt in diesen dialogen. nach moskau also? natürlich
nicht, keiner hebt den arsch, die energie wird vom selbstmitleid gegen null
gefahren. bei der uraufführung 1901 in moskau war das publikum zu tränen
gerührt. was tschechow, der gegen die lethargie stacheln wollte,
verständlicherweise sehr ärgerte. in zürich sitzt der stachel.
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