Samstag, 19. Oktober 2013

ZÜRICH: ROCCO UND SEINE BRÜDER

der zehnjährige luca steigt zu beginn auf den apennin, im theater neumarkt ein kleiner steinhaufen in der mitte, der nord- und süditalien trennt, und erzählt anrührend, wie die älteren brüder den vater im meer bestattet haben. es braucht nur diese paar wenigen italienischen sätze und man ist schon mittendrin in der trostlosigkeit (und der schwarz-weiss-ästhetik) der frühen sechziger jahre, als die verarmten familien aus dem süden zu tausenden nach mailand zogen. mit „rocco e i suoi fratelli“ hat ihnen luchino visconti ein geradezu dokumentarisches denkmal gesetzt. und peter kastenmüller eröffnet mit dieser geschichte jetzt seine intendanz am zürcher neumarkt, weil ihn das thema migration interessiert und dabei die ankunft am neuen ort mehr als der abschied vom alten. er verdichtet das epos auf eineinhalb stunden, schafft tempo mit einer schienenkarre, die quer durch den raum rattert, und ruhe mit dezenten videoeinspielungen, wechselt rasant die perspektiven vom erzählen zum spielen und zurück, verkürzt massiv und gibt den figuren trotzdem scharfe und unverwechselbare konturen. nein, diesen fünf brüdern geht es nicht um träume und utopien, sondern um die nackte existenz. die einen versuchen es mit boxen, die anderen strampeln nur und straucheln. das leben als kampf, als fortwährende versuchung, als tödliche rivalität. theater ist immer live, deshalb entwickelt dieses drama, das fürs kino geschrieben wurde, in diesem kleinen raum einen enormen sog, durch die bewegung, durch die nähe, durch die präsenz dieser jungen schauspieler. ein ausgesprochen kraftvoller zürcher einstand für kastenmüller und sein ensemble.

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