Donnerstag, 20. Februar 2025

COLOMBO: TOTAL LANDSCAPING

auf den ersten blick zeigt das grossformatige bild von pradeep thalawatta einfach die coole skyline von colombo, den stolz vieler hier. doch dem jungen künstler geht es um etwas anderes: bewusst ins zentrum des bildes hat er das galle face green gerückt, einst ein absoluter hotspot, ein pulsierender platz direkt am meer, der 2022 nach protestbewegungen fürs volk gesperrt wurde und heute eine hässliche, menschenleere brache ist, an allerbester lage. in der ausstellung "total landscaping" im museum of modern and contemporary art in colombo hinterfragen 29 zeitgenössische sri lankische künstlerinnen und künstler die veränderungen in der landschaft und unsere wahrnehmung dieser oft schleichenden prozesse von umgestaltung und zerstörung. schauen wir genau hin oder bloss durch die brille der erinnerung? welche beziehung pflegen wir zu unserer umgebung? und den touristinnen und touristen stellt sich, hier und anderswo, die frage, wie weit sie ihren blick jeweils auch für die schattenseiten einer destination zu öffnen bereit sind, die realität hinter den gerade in sri lanka unbestritten grossartigen kulissen. die ausstellung zeigt immer wieder menschengemachte grenzen, zäune, sperrgebiete, die dazu führten, dass viele während langer zeit nur über den seeweg und mit mühsam zu erlangenden amtlichen dokumenten überhaupt in andere teile ihres eigenen landes gelangen konnten. am nachhaltigsten prägt sich eine fotografie von dominic sansoni ein: sie zeigt, frontal und brutal, einen menschen in kurzen hosen, dem die blutenden unterarme und eine gesichtshälfte wegfliegen, die andere hälfte brennt. mit dieser krassen wandmalerei wurden die schulkinder in jaffna während des bürgerkrieges (1983-2009) vor landminen gewarnt.

Sonntag, 9. Februar 2025

AHUNGALLA: GESCHICHTEN GEGEN DIE ANGST

"du willst dem universum dieselbe frage stellen wie jeder andere. warum werden wir geboren, warum sterben wir, warum muss überhaupt irgendetwas sein? und das universum antwortet nur: keine ahnung, lass mich in ruhe. das leben nach dem tod ist so verwirrend wie das leben davor, das dazwischen ist so willkürlich wie das da-unten. also denken wir uns geschichten aus, weil wir im dunkeln angst haben." 

aus "die sieben monde des maali almeida" (rowohlt), dem grossen sri-lanka-roman, mit dem shehan karunatilaka 2022 den booker prize gewann. das richtige buch am richtigen ort.

Sonntag, 2. Februar 2025

BERN: GRAF ÖDERLAND

der mörder strickt im knast an einer wolljacke, der polizist neben ihm dudelt auf seiner mundharmonika. max frischs „graf öderland“ (1951) ist ein stück über langeweile. ein bankangestellter tötet einen hausmeister mit der axt, aus langeweile. ein staatsanwalt beginnt ihn zu verstehen – und ihm nachzueifern. armin petras´ inszenierung im berner stadttheater illustriert sehr bildhaft, wie öderlands axt zum symbol wird und das axtschwingen zur bewegung der gelangweilten und unzufriedenen. claudius körber, herausragend in einer doppelrolle als naiver mörder und durchtriebener hellseher, und jonathan loosli als staatsanwalt bilden das energiegeladene zentrum dieser übungsanlage, die auf revolution und machtergreifung hinausläuft: „wir müssen so schnell wie möglich beginnen“, fordert einer aus der masse. „aber womit denn eigentlich?“ fragt ein anderer ratlos. texte des berner hausautors ralph tharayil schaffen gegenwartsbezug und die mit viel liebe zum detail gestaltete drehbühne (natascha von steiger) sorgt für dynamik im ablauf der wechselnden schauplätze: büro, gefängnis, waldhütte, kanalisation, regierungspalast. ob der staatsanwalt den ganzen horror von der axtschwingenden dumpfen meute nur träumt oder ob die wirklichkeit den albtraum überholt, lässt das stück offen. eine surreale atmosphäre beherrscht den ersten teil des abends und sorgt für spannung. nach der pause wird das ganze grauen mit akrobatik, tanzeinlagen und songs zerdehnt (geht schauspiel eigentlich noch ohne songs?), die bomben und die pointen zünden nicht mehr richtig, der schauergeschichte kommt das schaurige abhanden. „was würde frisch wohl dazu sagen?“ fragt mich der herr, der neben uns sitzt, am schluss. frisch wäre enttäuscht, vielleicht entsetzt, wie bunt sein rabenschwarzes stück hier daherkommt: kein explosiver öderland, sondern ein entschärfter.