Dienstag, 27. Juli 2021

MÜNCHEN: DEKALOG

paare, passanten, gauklerinnen, flaneure, hyperaktive männer, hektische frauen, geniesserinnen und spiesser: die ganze bühne ist in bewegung wie seinerzeit bei peter handkes wortlosem stück „die stunde da wir nichts voneinander wussten“. ein junger mann im grünen trainingsanzug und mit rollbrett unter dem arm singt dazu arien von purcell und monteverdi („lasciatemi morire“, bisschen früh noch). aus diesem rumgewusel heraus entwickelt calixto bieito am münchner residenztheater mit 20 schauspielerinnen und schauspielern und einigen kindern die 10 geschichten, mit denen krzysztof kieslowski in seinen „dekalog“-filmen die 10 gebote aus heutiger sicht gespiegelt hat: eine frau will die abtreibung ihres unehelichen kindes vom tod ihres schwerkranken ehemannes abhängig machen; ein junger anwalt verteidigt einen jungen mörder und kommt mit seinem gewissen nicht klar; ein vater verführt seinen sohn zu einem physikalischen experiment auf einem gefrorenen see und verschuldet damit dessen ertrinken; eine frau macht sich das kind ihrer tochter zu ihrem eigenen; undundund. in der mitte der riesigen bühne dominiert ein videobespielter event-kubus, der die digitale gegenwart symbolisiert, und an der rampe, nahe beim publikum, spielen sich die dramen und geheimnisse des alltags ab. „was ist richtig und was ist falsch?“, es sind immer die gleichen fragen und sie bleiben immer ohne antwort. kein moralischer dekalog wird hier aufgefächert, sondern ein gesellschaftliches panorama, alles sehr subtil, alles sehr intim und: „ergebnisoffen“, wie der moderne coach sagt. calixto bieito, vor nicht allzu langer zeit der laute provokateur unter den regisseuren, hat zum differenzierten kammerspiel gefunden. auch gut.

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