Sonntag, 1. November 2020

ZÜRICH: MEDEA*

medea ist aufgewühlt, aufgebracht, ausser sich. „ich kann den gedanken nicht fassen, liebe abzulöschen.“ betrogen von jason, allein gelassen mit zwei kindern, mittellos in einem fremden land, verzweiflung bis zur raserei. am ende ihrer kräfte wickelt sie sich in das riesige leintuch, das in der schiffbau-box des zürcher schauspielhauses die ganze bühne umspannt. dann tritt johannes rieder von der seite hinzu (medeas kongenialer musiker und sidekick und sparringpartner in einem) und streichelt diese eingewickelte frau mit seinen hüftlangen haaren, ein zartes zeichen des trostes, die gegenwart grüsst den mythos. einmal mehr hat sich regisseurin leonie böhm einen klassiker vorgenommen, einmal mehr hat sie ihn radikal eingedampft und sehr heutig reflektiert: nicht „medea“ also, sondern „medea*“ – das sternchen im titel macht klar, dass die fussnoten und zwischentöne hier gleich mitgespielt werden. gespielt von einer absolut faszinierenden maja beckmann, einer frau mit tausend farben und facetten, die immer wieder mit dem system hadert, in das sie geraten ist, die sich von krise zu krise kämpft, für die die rebellion die treibende kraft ist und nicht die rache. sie schreit und lacht und heult. in einem bedrückenden solo wirft sie sich in ein stier-kostüm, um sich ihren ängsten zu stellen, beginnt ein zwiegspräch mit dem stier, um sich mut zu machen, um ihren weg zu finden und eine lösung. ja, sie will ihre beiden buben töten. „jetzt seh‘ ich klar“, sagt sie, dann stürzt der gigantische leintuch-himmel auf sie nieder und sie sieht gar nichts mehr. dies ist die zentrale botschaft, den die regisseurin, die schauspielerin und der musiker vermitteln: „unsicherheit ist immer ein gutes zeichen, dass etwas in bewegung ist.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen