Donnerstag, 3. Mai 2018

MÜNCHEN: DER VATER

links vor der bühne der münchner kammerspiele stehen zwei hässliche polstersessel aus strindbergs zeiten, oben ein hässliches billigsofa von ikea, damit schon mal klar ist: hier wird das gestern auf das heute losgelassen und das heute auf das gestern. und damit schon mal klar ist: gemütlich geht anders. august strindberg zeichnet in „der vater“ (1887) eine frau, die aus verzweiflung über ihre ohnmacht ihren mann mit einer intrige erst in den wahnsinn und dann in den tod treibt, ein stück gegen die sich emanzipierenden frauen. julia riedler und daniel lommatzsch schenken sich gar nichts, ehehölle total und vernichtungskampf wie bei ingmar bergman. mit einem allerdings wesentlichen unterschied: regisseur nicolas stemann lässt die beiden immer wieder aus der rolle kippen, lässt sie szenen wiederholen und rollen tauschen, er spricht dann ihren text, sie seinen. so löst sich die inszenierung von der reaktionären vorlage und ihren klischees und stellt machtmissbrauch und geschlechtergerechtigkeit ins zentrum. inmitten von acht giftgrünen stehlampen, die sich mal phallisch aufrichten und mal wieder schlapp machen, gelingt stemann eine stimmige, oft auch witzige analyse nicht der herrschenden verhältnisse, sondern der herrschenden unsicherheiten. auch das publikum wird verunsichert, wenn da plötzlich ein ziemlich dumpfer männerchor das wohnzimmer überfällt und ballermann-hits schmettert. wie der gender-diskurs und die rollenklärung viele überfordert, wird schliesslich verdichtet und zugespitzt in einem grossartigen solo von wiebke puls, die den vater, die mutter und das kind in personalunion spricht, sich nach da und dort verzehrt und verzerrt und die zwangsjacke, die strindberg dem vater anziehen lässt, gleich selber überstreift: alle mitgehangen. tatsächlich „das stück zur stunde“, wie stemann sagt. das ende des patriarchats, ja, aber ausgang offen.

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