Sonntag, 18. Februar 2018

ZÜRICH: ZUR SCHÖNEN AUSSICHT

das hotel „zur schönen aussicht“ hat die zukunft bereits hinter sich: auf den fleischkäsefarbenen und lindengrünen spannteppichen in der halle kuhfladengrosse kaffee-, kotz- oder blutflecken, an den wänden blättert die farbe, die treppen nach oben aus falschem marmor, das telefon in der kabine funktioniert nicht mehr und in der conciergeloge hängt eine verstaubte makramee-eule. es ist ein raum von ausgesuchter hässlichkeit, den bettina meyer in die grosse schiffbauhalle gebaut hat. der ideale ort für ödön von horváths „zur schönen aussicht“, diese kalte endzeit-komödie. könnte man meinen. doch die bombastische geschmacklosigkeit erstickt das stück aus dem jahr 1926 irgendwie, nimmt ihm die bittere schärfe. den abgehalfterten existenzen, die sich hier im kreis drehen (michael maertens als hoteldirektor, edmund telgenkämper als kellner, nicolas rosat als chauffeur, markus scheumann als spirituosenhändler, hans kremer als baron) schaut man zwar gerne zu, sie zelebrieren ihren physischen, moralischen und finanziellen ruin ganz vorzüglich, aber so richtig unheimlich wird es nie. selbst wenn da einer „wir brauchen einen neuen krieg“ in die runde ruft, verhallt das. und auch die ungeheuerlichkeit, wie die fünf die junge christine, die aus echter liebe ins hotel zurückkehrt, als hure brandmarken, um drohende alimentenpflichten abzuwenden, kommt weniger als ungeheuerlichkeit daher und mehr als müde attacke zerfallender männer. kurz: der schauspielhaus-intendantin barbara frey ist dieser abgesang auf jegliche vernunft arg brav und konventionell geraten. möglicherweise geht es ihr wie der baronin im stück: „ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ weshalb aus dem spitzzüngigen horváth eher wieder ein melancholischer tschechow wurde.

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