Samstag, 1. Dezember 2018
MÜNCHEN: DAS LIED VON DER ERDE
„still ist mein herz und harret
seiner stunde.“ es ging gustav mahler nicht gut, als er „das lied von der erde“
komponierte: tod der vierjährigen tochter, verlust der stelle als direktor der
wiener hofoper nach einer antisemitischen hetzkampagne, diagnose einer schweren
herzkrankheit. die letzten dinge beschäftigten ihn wie nie zuvor und so
entstand, basierend auf chinesischen gedichten, ein liedzyklus voller herbst
und voller schatten, abschied und ende. mehr november geht nicht. „ist das
überhaupt zum aushalten? werden sich die menschen nicht darnach umbringen?“
soll mahler seinen freund bruno walter gefragt haben. die kammeroper münchen unter
der leitung von nabil shehata führt das romantisch-melancholische werk jetzt in
der allerheiligen-hofkirche der münchner residenz auf, ein konzertraum von
grandioser schlichtheit, nur neobyzantinische bögen und backsteinmauern, die
vom lichtdesigner wolfgang förster in schwere farben getaucht werden. alexander
krampe schrieb ein arrangement für ein 15köpfiges kammerorchester, das
erstaunlich gut funktioniert, weil sich die musikerinnen und musiker immer dem
gesamtklang, dem grossen atem verpflichtet fühlen und solistische ambitionen
vornehm zurückstellen. die mezzosopranistin okka von der damerau und der tenor
dean power, beide ensemblemitglieder der bayerischen staatsoper, tauchen tief
ein in mahlers gefühlswelt, mit impulsiver eleganz in den aufbrausenden
momenten zu beginn, zart und innig dann in den phasen der trauer über
vergangenes und vergängliches: „ich weine viel in meinen einsamkeiten. der
herbst in meinem herzen währt zu lange.“ mehr november geht nicht.
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