shakespeare
liess auch die frauenrollen von männern spielen. die kostümbildnerin
kathrin plath steckt bei „mass für mass“ am schauspielhaus zürich jetzt alle männer in frauenkleider. jeder kann alles sein in diesem wüsten spiel um macht
und moral, um tugenden und triebe. diese irritationen werden noch gesteigert
durch das labyrinth aus spiegeln, stellwänden, vorhängen und neonpfeilen, das
bühnenbildner moritz müller auf die drehbühne gebaut hat. passend zu
shakespeares menschenexperiment, in dem sich vincentio, der herzog von wien, als
mönch tarnt und die schärfsten sittenwächter als grösste strolche entlarvt,
wechseln in der inszenierung von jan bosse also laufend die perspektiven, kaum
eine fassade, die nicht bedrohlich wackelt, kaum ein abgrund, der nicht heftig
lockt, was eben noch hinten war, ist plötzlich vorn, wer eben noch oben war,
ist nun unten. chaos total also? keineswegs. das liegt daran, dass bosse shakespeare
entschlackt und die sprache aufs wunderprächtigste neu frisiert hat („sie
liegen da wie eine verschimmelte seegurke“). durch die klarheit dieser sprache
und den ausgesprochen stimmigen rhythmus entwickeln sich die intrigen – fürs publikum
– mit seltener nachvollziehbarkeit, und dem grandiosen ensemble liefert der
aufgefrischte text futter noch und noch für verbale und mimische akrobatik: ob
nonne oder nutte, ob mönch oder kerkermeister, da ist immer leben prall. und
das lehrstück kommt keine minute als lehrstück daher, sondern als rattenscharfe
groteske auf die herrschende klasse: „in regierung steckt gier“, sagt einer
knapp. kann eine shakespeare-übersetzung zeitgemässer sein?
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