eine
grosse schwarze flagge hängt während dem vorspiel zu richard wagners „tristan und isolde“ über
der bühne, ein schwarzes quadrat, wohl acht auf acht meter, eine demonstrative
leerstelle. sie kann stehen für das unausgesprochene und unerhörte dieser liebe,
das verbotene und verborgene, für erinnerung und vorahnung – oder ist es
einfach der blick aufs nächtliche meer vor cornwall? mit seiner inszenierung,
die nach paris und rom jetzt an de nationale opera amsterdam gezeigt wird, lädt
pierre audi dazu ein, diese leerstellen zu füllen – oder leer zu lassen. immer
wieder taucht sie auf, die schwarze flagge, ein fixpunkt im labyrinth der
emotionalen verwerfungen. audi gibt keine antworten, er deutet nur an. mit
einfachsten mitteln (rostige platten, schwemmholz, magische steine) gelingen
ihm und bühnenbildner christof hetzer betörend schöne bilder, die die
zeitlosigkeit und tiefe dieses mythos unterstreichen. stephen gould als
tristan, günther groissböck als könig marke und ricarda merbeth als isolde
laden die weiten räume von beginn weg mit unerhörter energie auf, fordern ihren
hochdramatischen stimmen das äusserste ab, ein permanenter vokaler rausch, atemberaubend.
vor allem merbeth: noch nie hat man die isolde so resolut, so unerschrocken
gesehen und gehört, noch nie war die fallhöhe zwischen der rächerin, die tristan vergiften
will, und der ihn dann bedingungslos liebenden so gross. chefdirigent marc
albrecht gelingt mit dem nederlands philharmonisch orkest ein grosses lyrisches
gedicht; er findet alle farben, den zauber, die versunkenheit, die ekstase. am
ende weicht die schwarze flagge wieder und isolde singt ihr „ertrinken, versinken,
unbewusst, höchste lust“ in gleissendem gegenlicht, die reise zum tod ist eine reise
in eine neue welt. standing ovation.
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