er ist
ein widerliches arschloch, ein gemeiner egozentriker, ein irrer machtmensch. er
verhöhnt seine nächsten, begrapscht wahllos frauen und geht über leichen. hauptsache:
der grösste sein. natürlich muss man den ganzen abend an trump denken, obwohl
michael thalheimer in seiner inszenierung von shakespeares „richard III.“ am
residenztheater in münchen den allzu offensichtlichen bezug vermeidet: norman
hacker trägt schulterlange, verschwitzte haarsträhnen und haust in einem
turmhohen bretterverlies (von olaf altmann), auf dessen boden permanent
schwarzes laub raschelt, eine düstere szenerie, durch die wummernden bassakkorde
aus dem off noch düsterer aufgeladen. ein ort des grauens. so richtig irr,
beängstigend irr wird dieser richard nach der pause, als er ganz oben, als er
endlich könig ist. da faucht und feixt er, zerkaut brüllend jede silbe der
thomas-brasch-übersetzung mit dem unterkiefer, wechselt mitten im gespräch
idiotisch die tonart richtung knabensopran, juckt plan- und ziellos durch die
gegend – und immer wieder an die rampe: so einer sucht das publikum, so einer
braucht das publikum, er weiss zwar, dass er nackt ist („oft handeln männer
ohne tiefern sinn“), aber er glaubt auch, dass sein publikum, das er irre
glotzend fixiert, dies nicht weiss. norman hacker spielt diese zynische rampensau,
und ihre abgründe spielt er genial mit. in seinem vertrackten system von machtgier,
schuld und rache macht dieser richard die gegenspieler, die immer von hinten
aus dem dunkel durchs laub angeraschelt kommen, zu unfreiwilligen mitspielern. doch
die rampe, die gehört nur ihm. und er weiss, wie schrecklich einsam man ganz
vorne im scheinwerferkegel sein kann: „i am myself alone.“ endzeitstimmung.
Dienstag, 19. Dezember 2017
Sonntag, 17. Dezember 2017
MÜNCHEN: TIEF INS GLAS GESCHAUT
"wenn man einen schluck hefeweizen nimmt, dann ist das eine fast spirituelle erfahrung. jeder, wirklich jeder kann die spirituellen und philosophischen aspekte erfahren, die sich in so etwas einfachem wie einem schluck weissbier offenbaren." kann man es schöner sagen als der us-künstler jeff koons, der eine zeitlang in münchen lebte?
Montag, 11. Dezember 2017
KASTANIENBAUM: AUSGESTEMPELT
als
er pensioniert und seine post in 6047 kastanienbaum geschlossen wurde, machte
sich posthalter ruedi zurflüh mit einer schachtel voller trouvaillen auf den
weg ins museum für kommunikation (ehemals postmuseum) in bern, mit dem
vorschlag, einen teil dieser aussergewöhnlichen dokumente, briefe und postkarten dort auszustellen. bescheid negativ, es gebe zu viel sammelgut
von zu vielen ex-posthaltern. nun allerdings haben ruedi zurflüh und sein vater
und sein grossvater, die die postkunden in kastanienbaum zusammen während 98
jahren betreuten, ein viel attraktiveres denkmal erhalten: „ausgestempelt“, der sensible und kurzweilige dokumentarfilm von kurt koller und franz szekeres. nein, es
ist kein jammerfilm über nicht nachvollziehbare poststellenschliessungen und
den abbau des service public. dass sich die zeiten immer wieder und immer
schneller ändern, schwingt zwar durchaus mit, doch im zentrum steht ein liebevoller,
anekdotenreicher rückblick auf drei posthalter-generationen und ihre teils
illustre kundschaft: der belgische könig leopold III. (der hier kurz vor dem
tödlichen unfall mit seiner gemahlin astrid bereits einen töffunfall baute), der
schillernde luzerner bankier ernst brunner, geheimdienstoffiziere, judenhasser
und reihenweise musiker von rafael kubelik über claudio abbado zu dj bobo. der
grosse toscanini kam jeweils zu zurflühs, um mit seiner schwester (offizielle
version für seine frau), respektive seiner geliebten in italien (inoffizielle
version) zu kabeln. ja, die post unmittelbar neben dem hotel war die seele von
kastanienbaum, andere treffpunkte gab und gibt es kaum. dieser film ist eine
liebeserklärung auch an dieses spezielle dorf. wie sagt doch die off-sprecherin
im film lakonisch: „ein ort, an dem zu wohnen man es sich leisten können
möchte.“
Sonntag, 10. Dezember 2017
ZÜRICH: MEISTER UND MARGARITA
der teufel besucht moskau. jan
bluthardt gibt ihn am diesmal zum intimen variété umgebauten theater neumarkt
in zürich total chic im schwarzen sakko mit schmetterlingsmotiven und viel gel
im haar, ein ausgesprochen intelligenter und cleverer typ. er nennt sich hier
voland und gibt sich als deutscher professor für schwarze magie aus. der teufel
ist die zentrale figur in michail bulgakows kultroman „meister und margarita“,
der gerne als „der russische faust“ bezeichnet wird, ein überbordender roman
über kunst und politik, über liebe und andere leidenschaften. in peter
kastenmüllers vortrefflicher regie stürzt dieser teufel das moskau der 30er
jahre nicht ins chaos, sondern in eine abgrundtiefe verunsicherung. er beisst
sich fest am verordneten atheismus und der absurden bürokratie, er umschleicht
die menschen, horcht sie aus (mit mehr erfolg als die miliz) und durchschaut
sie. durchschaut sie und ihre unterwerfungen, ihre lügengeschichten, ihre
skandale. kurz: der kerl verfolgt eine nicht unsympathische mission. bulgakows
grandioses kaleidoskop ist ein gefundenes fressen für die spielfreudige
neumarkt-truppe: die dreieinhalbstündige zickzack-wanderung durch die russische
seele wird hier zu einer ebenso klugen wie kurzweiligen revue, realistisch,
satirisch, phantastisch, mit schrägen videoclips und parodien auf
sandalenfilme, mit russischen schnulzen und schäbigen zaubertricks. die
gesellschafts- und systemkritik entwickelt so einen geradezu opernhaften rausch
– und nüchtern bleibt, natürlich, nur der teufel: „wozu dem nachjagen, was zu
ende ist?“ fragt er final, derweil moskau und das publikum im trockeneisnebel
wegdämmern.
Samstag, 9. Dezember 2017
WIEN: DROHKULISSE
"ich weiss, wie man im strafraum beton anmischt."
sagt nicht edinson cavani, stürmer bei paris saint-germain.
sagt nicht mario himsl, fussball-lehrer aus otterskirchen.
"ich weiss, wie man im strafraum beton anmischt."
sagt martin kušej , der designierte direktor des wiener burgtheaters (im interview mit der "süddeutschen zeitung"). da bahnt sich was an im österreichischen nationalheiligtum.
warm anziehen, wien!
sagt nicht edinson cavani, stürmer bei paris saint-germain.
sagt nicht mario himsl, fussball-lehrer aus otterskirchen.
"ich weiss, wie man im strafraum beton anmischt."
sagt martin kušej , der designierte direktor des wiener burgtheaters (im interview mit der "süddeutschen zeitung"). da bahnt sich was an im österreichischen nationalheiligtum.
warm anziehen, wien!
Mittwoch, 6. Dezember 2017
PRANGINS: WORLD PRESS PHOTO
80‘000
bilder hat die jury des internationalen wettbewerbs „world press photo“ dieses
jahr visioniert. 80‘000 bilder von 5000 fotojournalisten. bilderflut,
reizüberflutung, realität 2017. die teilweise ikonischen fotos der preisträger
sind jetzt im musée national im château de prangins bei nyon ausgestellt. das
attentat auf den russischen botschafter während einer vernissagenrede in einer
galerie in ankara (aus nächster nähe fotografiert), die blutigen opfer des vom
philippinischen präsidenten duterte verschärften drogenkriegs mitten auf der
strasse (in diffusem licht), in ruinen vegetierende menschen in ukrainischen
unstädten (trost- und perspektivenlose porträts) – es sind bilder oft hart an der grenze. 80‘000
bilder dürften in etwa auch dem entsprechen, was ein durchschnittlicher mensch
im lauf eines jahres wahrnimmt, bewusst und unbewusst. die präsentation in
prangins, grossformatig, sorgfältig, unaufgeregt, soll auch ein anreiz sein, dieser
bilderflut im alltag wieder anders zu begegnen, bilder wirken zu lassen, bilder
zu lesen, zu interpretieren, konsequenzen daraus zu ziehen. in den räumen
darunter läuft parallel die ausstellung „swiss press photo“. ein eigenartiger
kontrast: gerhard pfister stochert im nebel, doris leuthard küsst, samih
sawiris protzt, kühe fahren schiff. die direkte gegenüberstellung mit den
brutalen szenen weltweit mag zweierlei auslösen: wir leben auf einer insel der
glückseligen / wir leben auf einer insel der naiven.
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