Samstag, 11. November 2017

MÜNCHEN: MAUSER

leichen werden herbeigeschafft und auf haufen geworfen. immer wieder erhebt sich ein toter aus den leichenbergen, stellt sich mit flatternden beinen auf die anderen und denkt laut nach über das töten und die gewalt als mittel zur veränderung. im hintergrund schaut heiner müller kritisch-distanziert zu, auf einem bühnenhohen und bühnenbreiten schwarz-weiss-porträt. „wofür sind wir bereit zu töten? wofür sind wir bereit zu sterben?“ heiner müller erzählt in „mauser“ eine geschichte aus dem russischen bürgerkrieg, als der leiter des revolutionstribunals von witebsk das töten plötzlich nicht mehr als arbeit, sondern als lust empfindet und damit für die revolution unbrauchbar wird. zum müller-text entwickelt der kroatische regisseur oliver frljić im marstall des münchner residenztheaters mit einer schauspielerin und vier schauspielern eine bildwuchtige phantasie voller gewaltexzesse und erniedrigungen, unterlegt mal mit fegigem balkan-brass, mal mit düsteren requiem-sequenzen. teilweise lässt er die spieler nackt agieren, beim holzhacken zum beispiel und in interviewszenen, um den terror der gedanken über die körper zu illustrieren und die verletzlichkeit des individuums in der revolutionären masse. frljićs ansatz verdeutlicht, wie sehr revolutionen mehr schwierige fragen aufwerfen als brauchbare antworten liefern. und: dass lehrstücke nicht als politische pamphlete taugen, sondern allenfalls als spielerischer beitrag zu kontroversen. am schluss zerschmettert nora buzalka mit dem beil eine heiner-müller-büste aus eis. der autor nimmt´s gelassen; er tritt aus dem off hinzu und kippt das zerbrochene eis ins whisky-glas. schon zuvor hatte er den drastischen diskurs wieder auf normalmass gestutzt: „ich schreibe mehr als ich weiss.“

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