Montag, 23. Oktober 2017

FREIBURG IM BREISGAU: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN

der französische tenor sébastien guèze tritt so smart auf wie der leibhaftige österreichische steilstarter sebastian kurz, verfügt über eine helle, lyrische stimme – und: er wusste am mittwoch noch nicht, dass er am sonntag in der première von „hoffmanns erzählungen“ am theater freiburg im breisgau die hauptrolle singt, als ersatz für den erkrankten rolf romei. einspringen ist daily business im theaterbetrieb, doch mit nur zwei tagen proben in eine derart komplexe inszenierung einzusteigen, und dies mit zunehmend betörender brillanz, das ist schon eine meisterleistung. denn das französische regiekollektiv clarac-deloeuil > le lab liefert keine handelsübliche lesart von offenbachs oper. die bühne ist ein weiss gekachelter raum, labor und studio in einem, in dem eine blonde moderatorin auf acht bildschirmen als erstes bekannt gibt, dass der literaturpreis 2017, in anerkennung seiner herausragenden impulse für die zeitgenössische literatur, an e. t. a. hoffmann geht. die zweifel und selbstzweifel des toten dichters, sein scheitern in liebe und kunst, nehmen die regisseure zum anlass, ganz generell über dichtung und ihre wirkung nachzudenken. „wozu dichter in dürftiger zeit?“ fragen sie mit hölderlin. eine schauspielerin und ein schauspieler, die hoffmanns muse assistieren, zitieren in dutzenden von intermezzi dutzende von dichtern und denkern, die ihre rolle und ihre grenzen reflektieren. diese intellektuellen exkurse funktionieren erstaunlich gut, zumal fabrice bollon offenbachs romantischen rausch bisweilen überraschend unromantisch dirigiert. auch dies unterstreicht: dichter leben gefährlich. dieser freiburger hoffmann wird am schluss erschossen, auftragsmord eines politikers, doch er lebt weiter durch seine kunst. ja, gerade in dürftigen zeiten tun dichter not: „es ist uns aufgegeben, wahrheiten auszusprechen.“ viel applaus für einen eindrücklichen, klugen opernabend.

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