schauplatz:
ein heller, hoher raum. allerdings weckt der, wegen seiner fensterlosigkeit und
weil sich die wände unaufhörlich und schier unmerklich verschieben, durchaus
klaustrophobische gefühle. die ganze sippe der serpenoise haust in diesem
anwesen und mit ihr die gespenster der vergangenheit und die gespenster der
gegenwart, ein ganzes heer. der helle, hohe raum ist also überbelegt, lässt
kaum luft zum atmen. mit „rückkehr in die wüste“ hat bernard-marie koltès in
den 80er-jahren eine bittere komödie geschrieben: algerien-trauma, xenophobie,
perspektivenlosigkeit und lethargie in der wüste der provinz – alles verpackt
in die geschichte einer spiessigen industriellenfamilie in frankreichs norden. die
inszenierung von amélie niermeyer am münchner residenztheater zeigt mit beinahe
sadistischer lust, wie brisant dieses 30 jahre alte stück gerade in diesem
französischen wahlfrühling immer noch ist. rechtsextreme zombies schleichen
durchs haus und schmieden ihre pläne, araber werden abgefackelt und schwarze
abwechslungsweise als karikaturen oder als bedrohung wahrgenommen. im zentrum
stehen adrien, der firmenchef, und seine schwester mathilde, die nach 15 jahren
mit zwei unehelichen kindern aus algerien zurückkehrt und ihr erbe einfordert.
götz schulte und juliane köhler keifen und balgen, überhäufen sich mit
vorwürfen, verletzen und versöhnen sich, ein tanz am abgrund; geschwisterliche
hassliebe mit permanenter explosionsgefahr. es brodelt in der familie, es brodelt in europa, es brodelt
zweieinhalb stunden lang. koltès schwingt sich mit seinen messerscharfen
dialogen in tschechowsche dimensionen: wenn alles nur wüste ist, wo ist dann
die heimat?
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