Samstag, 8. April 2017

LUZERN: RUE DE BLAMAGE

der leichenwagen parkiert nachts um halb elf mitten auf dem trottoir. im fahlen licht hinter dem schaufenster steht bestattungsunternehmer mühlemann wie ein halbtoter. oder ein todesengel? was macht der da, nachts um halb elf? solche episoden hat der gebürtige luzerner filmemacher aldo gugolz für „rue de blamage“ an der baselstrasse zuhauf eingefangen. dass sich ein zentralschweizer dokumentarfilm mal nicht auf die spuren von sennen oder kindern in schattigen bergtälern begibt, ist ja an und für sich schon ein höchst löbliches ereignis. was zu beginn wie die zufällige aneinanderreihung kurzer baselstrasse-schnipsel wirkt, fügt sich allmählich zu einem grossartigen mosaik: die ganze welt auf den 750 metern zwischen kasernenplatz und kreuzstutz, die geschichten hinter den gesichtern. da ist daniele, der ex-junkie, der auf seinem schlafsack in einem parkhaus berührend von der liebe zu seinem vierjährigen sohn erzählt. da ist heinz, der strassenwischer, der modell steht für die drei meter hohe kreisel-skulptur am kreuzstutz und wert darauf legt, dass beim bauch noch ein wenig weggeschliffen wird. da ist die aus syrien geflüchtete frau, die sich vorwürfe macht, weil sie ihre tochter zurückgelassen hat. da ist connie, die in ihrer beach bar „95 prozent verheiratete männer“ erleichtert und der ein „putzsklave“ zugelaufen ist, der sich von ihr an der leine auf allen vieren durchs treppenhaus führen lässt und ihr in latex-vollmontur frottiertücher und bettlaken faltet. noch die allerschrägsten szenen begleitet gugolz mit allergrösster empathie. so haben auch wir die baselstrasse noch nicht gekannt. einer kommt regelmässig raus aus seiner dunklen wohnung und setzt sich mit dem gartenstuhl an die strasse. logenplatz. 30 stühle wurden ihm schon geklaut. er kauft immer wieder neue. es lohnt sich für dieses theater. rue de blamage. luzerns wildeste strasse ist auch luzerns farbigste strasse.

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