der
leichenwagen parkiert nachts um halb elf mitten auf dem trottoir. im fahlen licht hinter dem schaufenster steht
bestattungsunternehmer mühlemann wie ein halbtoter. oder ein todesengel? was
macht der da, nachts um halb elf? solche episoden hat der
gebürtige luzerner filmemacher aldo gugolz für „rue de blamage“ an der baselstrasse zuhauf eingefangen. dass
sich ein zentralschweizer dokumentarfilm mal nicht auf die spuren von sennen
oder kindern in schattigen bergtälern begibt, ist ja an und für sich schon ein
höchst löbliches ereignis. was zu beginn wie die zufällige aneinanderreihung
kurzer baselstrasse-schnipsel wirkt, fügt sich allmählich zu einem grossartigen
mosaik: die ganze welt auf den 750
metern zwischen kasernenplatz und kreuzstutz, die geschichten hinter den gesichtern. da ist daniele, der ex-junkie,
der auf seinem schlafsack in einem parkhaus berührend von der liebe zu
seinem vierjährigen sohn erzählt. da ist heinz, der strassenwischer,
der modell steht für die drei meter hohe kreisel-skulptur am kreuzstutz und
wert darauf legt, dass beim bauch noch ein wenig weggeschliffen wird. da
ist die aus syrien geflüchtete frau, die sich vorwürfe macht, weil sie ihre
tochter zurückgelassen hat. da ist connie, die in ihrer beach bar „95 prozent
verheiratete männer“ erleichtert und der ein „putzsklave“ zugelaufen ist, der
sich von ihr an der leine auf allen vieren durchs treppenhaus führen lässt und
ihr in latex-vollmontur frottiertücher und bettlaken faltet. noch die
allerschrägsten szenen begleitet gugolz mit allergrösster empathie. so
haben auch wir die baselstrasse noch nicht gekannt. einer kommt regelmässig
raus aus seiner dunklen wohnung und setzt sich mit dem gartenstuhl an die
strasse. logenplatz. 30 stühle wurden ihm schon geklaut. er kauft immer wieder
neue. es lohnt sich für dieses theater. rue de blamage. luzerns
wildeste strasse ist auch luzerns farbigste strasse.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen