Montag, 13. März 2017

MÜNCHEN: NŌ THEATER

immer wieder wird die tokioter u-bahn-station roppongi, die dominic huber auf die bühne der münchner kammerspiele gebaut hat, in psychedelisches grün und lila getaucht. dann erscheint aus dem hintergrund schleichend stefan merki, macht zur heulenden musik von kazuhisa uchihashi eigenartige schlurfschritte, rudert zeitlupenartig mit den armen und deklamiert dazu japanische wirtschaftsgeschichte: plaza-abkommen, bubble economy, staatsanleihen, lost decades. merki ist der geist eines investmentbankers, der sich hier vor die u-bahn geworfen hat und bei einem jungen passanten jetzt vergebung sucht für seine sündenfälle. während die worte wikipediamässig klingen, haben die bewegungsmuster von geist und jungem mann etwas ungewohntes, undurchschaubares, einlullendes. das nō theater ist ein theater der übergänge; geister suchen mit kollektiven erinnerungen aufgeladene orte und verunsichern mit kryptischen anspielungen. regisseur toshiki okada führt diese stark strukturierte traditionelle form an den kammerspielen mit neuem inhalt und europäischen schauspielern eindrücklich zusammen. nach dem schräg-witzigen intermezzo (ebenfalls fixes nō-element), in dem anna drexler die u-bahn-station und das publikum lustvoll an verschiedenen varianten des rollen-lernens teilhaben lässt, taucht im zweiten teil der „geist des feminismus“ auf: eine politikerin, die im parlament von tokio bessere unterstützung für schwangere und mütter forderte, weil das land sonst keinen nachwuchs und keine zukunft habe – und dafür mit sexistischen zwischenrufen niedergemacht wurde. sie steht da, kalt, aseptisch, ein dunkler engel. alles in allem eine ausgesprochen depressive bilanz für japan: „über 30 jahre hat sich dieser ort in eine wüste verwandelt.“ ich war noch nie in japan. ich sah nō theater noch nie im original. ich habe keine vergleichsmöglichkeiten. geister habe ich mir bis jetzt eindeutig sinnlicher vorgestellt.

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