Sonntag, 19. Februar 2017

SURSEE: DIE FLEDERMAUS

alle wollen sie die bürgerlichen fesseln sprengen: eisenstein will heimlich auf einen ball, seine gattin rosalinde will heimlich auf einen ball, ihre angestellte adele will heimlich auf einen ball. dumm nur, dass sie – allesamt opfer einer hässlichen kleinen intrige – just denselben ballsaal anvisieren; die karambolage der klassen und weitere peinlichkeiten sind programmiert. diese eher einfach gestrickte komödie adelte johann strauss mit einem reigen unwiderstehlicher melodien; „die fledermaus“ ist seitensprung-wm im dreivierteltakt. andreas felber dirigiert das orchester im stadttheater sursee leicht und federnd durch diese ohrwurm-olympiade, mit tempo und charme in jedem takt. die solistinnen und solisten auf der bühne bilden nicht wirklich ein homogenes ensemble; da gibt’s ganz grosse stimmen und eher gewöhnungsbedürftige, aber alle lassen sich mitreissen von diesem sog, diesem musikalischen temperament. regisseur björn b. bugiel verleitet sie zu immer turbulenteren spässchen und beweist dabei viel gespür für stimmungs- und rhythmuswechsel und für die feine ironie, die strauss mitgeliefert hat. für den höhepunkt, das frivole fest beim prinzen orlofsky im zweiten akt, wird eine mehrere meter hohe, begehbare pyramide aus lauter champagnergläsern aufgefahren, von der wildgewordenen lichtregie in eine violett-und-lila-orgie getaucht und schliesslich vor leuchtendem sternenhimmel mit lametta zugeschneit, kitsch as kitsch can, das publikum ist baff. wenn die richtigen leute am drücker sind, kann theater auf dem land eben ganz schön was her machen - willkommen an der staatsoper sursee.

Freitag, 17. Februar 2017

LUZERN: KNOCHENLIEDER

der roman „knochenlieder“ von martina clavadetscher ist alles andere als eine well made novel, keine stromlinienförmige sofaunterhaltung. als die junge schwyzer autorin anlässlich der buchvernissage im luzerner kleintheater jetzt daraus las, begriff man schnell, dass sie damit ein sperriges stück literatur vorlegt. vorlegen will. es beginnt harmlos in einer siedlung, die menschen leben idyllisch und abgeschottet, aber irgendwann setzen fluchtwünsche ein, nur fort von hier, schnell fort aus dieser gegend, fort aus dieser zeit, die autorin rast mit den protagonistinnen in die zukunft. doch die ersehnte freiheit bringt neue zwänge, neue grenzen, neue unruhe, neue panik – in überwachten städten, camps, datennetzen und mit furchterregenden tieren. eine düstere fiktion. kafka lässt grüssen. dieser roman ist nicht einfach ein roman, er spielt auch immer wieder mit lyrischen und szenischen elementen, mit der sprache der naturwissenschaft, der alten märchen und mit it-programmiercodes, mal im flattersatz, mal mit gewagten zeilensprüngen: alles in allem ein überraschendes, abgründiges, eigenwillig eskalierendes sprachwunderwerk. was die musikerin isa wiss bei der vernissage mit stimme, cello und einer tischorgel an schrägen, märchenhaften und verstörenden tönen beisteuerte, unterstrich diesen clavadetscher-sound zwischen trance und traum aufs prächtigste. man freut sich, tiefer in diesen kosmos einzutauchen. so ging es auch der jury der dienemann-stiftung, die der autorin bereits aufgrund von plot und einzelnen textproben den mit 20‘000 franken dotierten „preis für das zweite buch“ zusprach; eine vitaminspritze, die sich gelohnt zu haben scheint. warum der roman „knochenlieder“ heisst? bin noch nicht so weit.

Mittwoch, 15. Februar 2017

AARAU: CINÉMA MON AMOUR

wenn sie kino mögen, mögen sie auch diese ausstellung. unter dem titel „cinéma mon amour – kino in der kunst“ zeigt das aargauer kunsthaus in zusammenarbeit mit den solothurner filmtagen, wie filme, filmsequenzen und das filmhandwerk im allgemeinen künstlerinnen und künstler immer wieder inspirieren. fetzen aus thrillern, fetzen aus western, aus stummfilmen, die fratze von jack nicholson, der heulende dustin hoffman, bollywood-casting, popcorn-geraschel, geniale schlusseinstellungen: nichts ist sicher vor ihnen, alles wird geplündert und auf bildern, in videos und installationen lustvollstens zitiert und recycliert und kommentiert und variiert. kino ist leben und, daran lässt diese ausstellung keinen zweifel, die kunst bedient sich an derselben theke. das hat, zugegeben, manchmal etwas beliebiges und unübersichtliches, ist aber von a bis z kurzweilig und anregend und es lohnt sich, für den rundgang reichlich zeit zu reservieren. für den letzten raum haben sich die kuratorinnen was besonders hübsches ausgedacht: „the end“ von mark wallinger (2006). der 35mm-film ist ein einziger abspann, pfundig grundiert mit dem donauwalzer von johann strauss und genau so lang wie dieser, 11 minuten 40 sekunden. rund 1900 namen klettern in dieser zeit die leinwand hoch, shallun, col-hozeh, azbuk, bavai, zalaph, mehetabeel, nahamani, mispereth, 1900 namen weiss auf schwarz, nichts anderes - eine liebevolle hommage an all die zahllosen abspanne (und die zahllos darin aufgeführten), die rund um den globus unbesehen in die leere von kinosälen flimmern, und ein dankeschön der kunst ans kino.

Montag, 13. Februar 2017

MÜNCHEN: KLEIN ZACHES UND DER FUNKENFLUG

welchen beitrag kann und will ich als schauspielerin, als schauspieler in unserer komplexen und disparaten welt leisten? wer bin ich, wenn ich schlicht meinen impulsen folge? warum will ich teil des zaubers sein? unter der leitung seiner dozentin, der schauspielerin wiebke puls, verknüpft der 3.jahrgang der otto falckenberg schule „klein zaches“ von e.t.a. hoffmann mit den ganz existentiellen fragen zu beginn einer theaterkarriere und macht daraus in der kammer 3 der münchner kammerspiele einen ebenso verspielten wie intelligenten abend. das märchen vom schön und talentiert scheinenden wechselbalg liefert die grundlage für reichlich körperarbeit und kopfarbeit, viel bewegung auf der bühne, viel bewegung in den gedanken. „ich glaube, der schauspieler spielt für sich selbst“, sagt lina habicht, „wenn er sagt, er mache es für das publikum, lügt er. wenn den zuschauern das spiel dann gefällt, dann vielleicht, weil sie etwas von sich selbst darin erkennen.“ william bartley cooper holt zum grossen debütanten-monolog aus, den ihm die dozentin auf den leib geschrieben hat: „schonungslos werde ich mich ins spiel stürzen. man wird mich lieben, man wird mich lieben müssen. (…) und ich werde mich in meinem beruf einrichten und ich werde mich arrangieren mit meinem geltungsbedürfnis und den diesem geltungsbedürfnis und meinen gewachsenen fähigkeiten nicht immer entsprechenden aufgaben.“ für lászló branko breiding ist spielen vor allem kommunikation mit dem publikum, „eine art unmittelbarer austausch von gedanken, fragen, gefühlen, funkenflug, wenn es gut läuft.“ und bekim latifi zitiert shakespeare: „lasst die schauspieler gut behandeln, denn sie sind der spiegel und die abgekürzte chronik des zeitalters.“ funkenflug, immer wieder.

Dienstag, 7. Februar 2017

MÜNCHEN: MADAME TOUT LE MONDE

im dezember ist sie 50 geworden. „ich fühle mich so gut wie lange nicht mehr. aber 50 ist eine hässliche zahl.“ nicht dass man ihr diese hässliche zahl ansehen würde, aber das leben hat spuren hinterlassen bei patricia kaas: beziehungskrisen, todesfälle, karrieredämpfer. das alles fliesst ein in ihre neuen chansons, nicht eins zu eins, sondern in einer durchaus poetischen verarbeitung. es sind kraftvolle balladen einer frau, deren kraft immer wieder gefordert war und ist. „madame tout le monde“ heisst die gängigste auf ihrer neusten cd: es braucht authentische frauen, singt sie da, aufsässige frauen, kämpferische frauen. „elle est toi, elle est moi, elle compte sur nos voix, pour changer la donne.“ auch die stimme von patricia kaas ist reifer geworden, noch reifer und noch reizvoller mit ihrem prächtig schattierten timbre. das vibrato, das anderen sängerinnen zum verhängnis wird, setzt sie ganz gezielt und kontrolliert ein. immer wieder gelingen ihr so beim ersten deutschland-konzert ihrer aktuellen europa-tournee in der philharmonie im gasteig in münchen ausgesprochen intime momente. intime momente in einem saal mit 2387 plätzen und einem publikum, das die hässliche zahl 50 grossmehrheitlich schon hinter sich hat – muss man können. patricia kaas braucht keine grosse show. sie hat ihre grosse stimme und ihre leidenschaftliche energie. madame tout le monde? pas du tout.

Sonntag, 5. Februar 2017

MÜNCHEN: DAS SCHLOSS

ob er oben im schloss bei seinem neuen dienstherrn wohnen soll oder doch unten in der dorfgaststätte? der landvermesser k. kann sich nicht entscheiden: „ich will immer frei sein.“  das entlockt der dumpfen masse in der schenke ein hämisches, grelles grinsen. frei sein! in diesem schloss und in diesem dorf herrschen unbekannte mächte und undurchsichtige hierarchien, hier ist keiner frei und der ebenso motivierte wie gutgläubige herr k. wird hier niemals fuss fassen. das wissen alle, ausser herr k. selber. dem französischen regisseur nicolas charaux gelingt mit kafkas unvollendetem „schloss“ am münchner volkstheater eine grandiose groteske. die zwänge und die enge dieser gesellschaft verwandelt er in sehr körperhaftes theater, eine choreographie des grauens: vier schauspielerinnen, vier schauspieler, alle in schlammfarbenen overalls, alle in pelzmänteln und mit pelzmützen (der mensch ist des menschen wolf), alle mit weiss geschminkten gesichtern, was sie manchmal wie vampire aussehen lässt und manchmal wie bösartige clowns. sie alle sind mal herr k. und alle sind die devote masse der beamten und bürger. sie tuscheln und intrigieren, sie umgarnen sich und würgen sich, sie keifen und schreien und je grösser der bürokratische leerlauf wird und je aussichtsloser der kampf dagegen, desto rasanter dreht sich die rostige drehbühne. das nervt manchmal gewaltig in seiner redundanz, es will ganz bewusst nerven: totalitäre macht und willkür als permanente psychische und physische grenzerfahrung. stark. für das tolle junge ensemble gibt´s begeisterten, nicht enden wollenden applaus.

Mittwoch, 1. Februar 2017

TEHERAN: TRUMP-BANN TRIFFT THEATERCRACKS

auch er. auch amir reza koohestani kann nicht mehr in die usa reisen. auch dieser bedeutende iranische theatermacher, der international gefeiert wird, zuletzt in münchen für seine differenzierte  inszenierung von „der fall meursault – eine gegendarstellung“, auch er ist vom trump-bann betroffen: „all dies mit der ‚sicherheit des landes‘ zu rechtfertigen, ist unsinnig. das ist nur eine ausrede für eine radikale ideologie. ich habe neulich gelesen, dass in den letzten 45 jahren kein einziger mord in den vereinigten staaten von einem iraner begangen wurde – keiner“, schreibt koohestani heute in der „süddeutschen zeitung“. und weiter: „nein, es geht hier nicht um sicherheit. die massnahmen sind teil einer schmutzigen politik mit dem ziel, muslime zu desavouieren, ihnen ein schlechtes image anzuhängen. das geht umso leichter, je weniger die amerikaner mit muslimischen menschen in kontakt und ins gespräch kommen. das theater – als live-kunst – tut das genaue gegenteil: es ermöglicht die direkte begegnung.“ vor zwei jahren gastierte koohestanis teheraner truppe bei festivals in den usa: „es war ein grossartiger austausch – dafür wurden solche festivals nach dem zweiten weltkrieg ins leben gerufen. so etwas ist jetzt nicht mehr möglich, selbst wenn wir wieder eine einladung bekämen.“