Montag, 9. Januar 2017

LUZERN: DER TÄTER GRÜSSTE OHNE MOTIV

als er irgendwann in den siebziger- oder achzigerjahren im luzerner stadtbild auftauchte, reagierten die erwachsenen zunächst irritiert und die kinder teilweise verängstigt: emil manser, ein mann im militärmantel, mit einem adventskranz auf dem kopf und mehrheitlich mürrisch. erst bei der dritten oder fünften begegnung erkannte man auch den schalk in den augen des zugereisten appenzellers, der in der folge gleich eine ganze reihe von in der stadt luzern schlecht vertretenen berufen übernahm: philosoph, strassenkünstler, provokateur, stadtoriginal, hofnarr. mit riesigen selbstgemalten plakaten setzte er sich ins stadtzentrum, vorzugsweise vor die kantonalbank: „der täter grüsste ohne motiv“ – „glück (für sie). bettle sonndags zum halben breis“ – „intelikenz ist gerecht verteilt. jede(r) meint genug zu haben“. mansers kreativ eingesetzte schreibfehler erheiterten die ganze stadt. mal verlangte er mit diesen hinguckern einfach geld fürs nächste bier, mal lieferte er bedenkenswertes weit über niveau. vor allem warb dieser vom leben immer wieder gequälte aussenseiter für toleranz, das war die wahre motivation hinter der schrägen performance. und das bringt die ausstellung im dachstock des historischen museums luzern jetzt sehr schön zum ausdruck, mit objekten aus seinem nachlass, mit einem video und mit einer farbigen und repräsentativen auswahl aus über 150 seiner plakate: „wer mich kennt liebt mich“ schrieb er auf eines; luzern hatte den mürrischen mann längst ins herz geschlossen. in einer nacht im sommer 2004 liess sich emil manser mit 53 in die reuss fallen. seither fehlt der stadt ein geistreicher entschleuniger.

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