Montag, 31. Oktober 2016

MÜNCHEN: TRÄNEN, SCHERBEN, VERZWEIFLUNG

auf der bühne: ein quadrat mit 1200 sektflaschen, leer oder fast leer, fein säuberlich aufgestellt, alle 50 zentimeter eine. die welt der promis und partys als klaustrophobischer raum; das publikum im marstall des residenztheaters sitzt auf allen vier seiten. zu beginn staksen die sechs schauspielerinnen noch schön kontrolliert durch die flaschenreihen, doch schon bald – man ahnt es – wird daraus ein schlachtfeld, ein scherbenhaufen der gefühle. „die bitteren tränen der petra von kant“ von rainer werner fassbinder erzählt die geschichte einer modedesignerin, die job/erfolg/geld und liebe nicht zusammenbringt. in der inszenierung von martin kusej verausgabt sich bibiana beglau während zwei stunden, sie terrorisiert ihre freundin, ihre mutter, ihre tochter, ihre liebste und ihre bedienstete, sie brüllt und blutet, hat gerötete augen und geschwollene lippen, ist heiss und eiskalt. in ihrer beziehungsunfähigkeit lässt sie alles eskalieren bis zur explosion. als gegen ende spuren der erkenntnis auftauchen, ist es zu spät: die sklavin hat sich erhängt, die anderen sind weg. bibiana beglau spielt dieses beängstigende, hysterische solo der einsamkeit und verzweiflung grandios: mein ich ist mein gefängnis. rainer werner fassbinder war auch so einer. petra von kant ist stark autobiographisch durchdrungen. man kann sich dieser emotionalen tortur als zuschauer nicht entziehen, leidet bei den seelischen verletzungen, bangt wegen den scherben, zwischen denen sich die darstellerinnen teilweise barfuss bewegen – und ist irgendwie ganz erleichtert, als die beglau beim schlussapplaus völlig entspannt und lachend auf die bühne kommt, als wäre grad gar nichts gewesen.

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