Samstag, 29. Oktober 2016

MÜNCHEN: POINT OF NO RETURN

am 22.juli lähmte der 18jährige david s. mit seinem amoklauf diese stadt für eine lange nacht. wir waren in unserer wohnung an jenem abend. wir hörten stundenlang die polizeisirenen aus allen richtungen, waren permanent online, hatten ein mulmiges gefühl, aber keine unmittelbare angst. anders als die zehntausenden in der innenstadt. anders als wiebke puls, die mit ihren zwei kindern im theater sass. anders als dejan bućin, der in der fussgängerzone socken kaufte, als die panik um sich griff. mit diesen beiden und drei weiteren schauspielern entwickelt yael ronen an den münchner kammerspielen die performance „point of no return“ über die massen- und individualpsychologische dynamik nach dem amoklauf, über horror und hysterie. ganz nach dem motto: rede drüber, es wird dir gut tun. die bühne ist ein voll verspiegelter raum, der steil zum publikum abfällt (wieviele arg schiefe ebenen müssen wir uns noch angucken, wenn regisseurin und bühnenbildner uns sagen wollen, wie sehr die welt doch aus den fugen ist?). hier verarbeiten die fünf, meist angeseilt, ihre erlebnisse. sie geben ihre enttäuschung preis, dass es „nur“ ein amoklauf war und kein terroranschlag; sie stellen in einer choreografie des grauens die opfer am boden des olympia-einkaufszentrums nach; sie tauschen aus, wie sie selber den tollsten theatertod starben; sie wollen von kollegin jelena kuljić wissen, wie weit sie an jenem juli-abend von ihrem serbien-trauma eingeholt wurde; ja, und niels bormann erzählt, wie er sich die freude an der fischsuppe in der theaterkantine nicht nehmen liess. das ist grotesk und oft grenzwertig – und sehr selten: berührend. ein bunter abend, das publikum lacht befreit und applaudiert üppig. das therapeutische ziel, immerhin, scheint also erreicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen