Freitag, 30. September 2016

MÜNCHEN: DER FALL MEURSAULT

moussa heisst er. der junge araber, der bei gleissendem sonnenlicht am strand von algier erschossen wird, von einem französischen angestellten namens meursault. albert camus interessierte sich in „l´étranger“ nicht für das opfer, es hatte keinen namen und kein gesicht. der algerische autor kamel daoud hat das in seinem roman „der fall meursault – eine gegendarstellung“ nachgeholt. 70 jahre nach camus erzählt er die geschichte aus arabischer perspektive. keine revanche, eine replik. das opfer hat jetzt einen namen. moussa. der ganze bühnenraum der münchner kammerspiele ist mit teppichen ausgelegt, das theater als moschee, ein schönes bild. haroun, der jüngere bruder von moussa, ist jetzt ein alter mann und brüllt seinen ganzen zorn auf die religiösen eiferer in diesen raum, regt sich auf über camus´ eurozentrismus, ist enttäuscht vom eigenen land. der zu recht international herumgereichte iranische regisseur amir reza koohestani verdreifacht haroun in seiner inszenierung – und manchmal ist er als kind, das den tod des bewunderten bruders nicht versteht, als junger mann, der sich neben der verbitterten mutter im leben kaum zurechtfindet, und als alter gleichzeitig auf der bühne. die perspektiven überlagern sich zu mehrdimensionalen bildern. mit einfachen mitteln (neben den teppichen ein wenig sand, eine grosse sonne, ein tisch, ein offenes grab) erweckt koohestani moussa zum leben. wie daouds roman will auch diese inszenierung keine postkoloniale anklage sein, sondern ein denkanstoss, ein äusserst präziser blick auf die komplexität der verhältnisse zwischen menschen, zwischen religionen, zwischen kontinenten. um das zu unterstreichen sprechen die schauspielerinnen und schauspieler immer wieder auch in ihrer muttersprache, farsi, bulgarisch, lettisch, arabisch, die welt als babylonische provokation. moussas leiche wird nie gefunden. das grab bleibt leer. daoud und koohestani füllen es mit worten, nachhallend und nachhaltig. das eindrückliche ende einer schwierigen geschichte: ein grab voller worte.

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