grobe stoffe, grobe muster: die kostüme weisen in ein vergangenes,
ländliches amerika. dieses amerika hat platz auf einem sandigen rechteck
in der zürcher schiffbauhalle; das publikum sitzt auf allen vier
seiten, dicht dran. die "hexenjagd" ist angesagt, die auf tatsächlichen
ereignissen in massachusetts im jahr 1692 basiert und von arthur miller
1953 als parabel zur zeit der grossen kommunistenhatz geschrieben wurde.
regisseur jan bosse verzichtet verdienstvollerweise auf eine
aktualisierung mit dem holzhammer, die bezüge ins jetzt stellen sich im
kopf auch so sofort ein. mädchen, die im wald nackt tanzen, bringen ein
ganzes städtchen durch- und hintereinander, keine traut keinem mehr,
denunziation und eskalation total. das hervorragende
schauspielhaus-ensemble holt sich den teufel subito in die mitte, mit
schärfe und tempo wird die hysterisierung auf die spitze getrieben, die
eigendynamik dieses alle-gegen-alle brutal ausgekostet. bis zur pause.
dann setzt bosse, der exorzismus hat's ihm zu sehr angetan, plötzlich
auf effekte en masse: birken verfärben sich blutrot, trockeneisschwaden
werden über den sand gejagt, grabkreuze unter scheinwerferblitzen in den
boden gerammt, der pastor mutiert zur pastor-karikatur - man wähnt sich
in einem musical. und das hochpräzise, detailgenaue ensemble säuft
total ab in dieser plakativen orgie, weg ist die dichte der ersten
hälfte, weg ist die dringlichkeit des stoffes. so schnell geht das.
Sonntag, 21. Februar 2016
Samstag, 13. Februar 2016
MÜNCHEN: KULTURGESCHICHTE 1880-1983
fein säuberlich klebt die dame 16 postkarten auf einen weissen karton,
vier in der höhe, vier in der breite: ansichten von stränden, palästen,
flugplätzen, bergtälern und immer wieder grossstädtischen boulevards, älteren
und neueren datums, mal passen sie thematisch oder geografisch zusammen, mal
nicht. den weissen karton mit den 16 karten fügt sie in einen schlichten
holz-passepartout. und klebt die nächsten 16 karten und wieder 16 und wieder.
hanne darboven lebte und klebte von 1941 bis 2009. es sind nicht dutzende und
auch nicht hunderte ihrer holzrahmen, die jetzt im grössten saal im haus der
kunst in münchen hängen, es sind 1590. raumfüllend. überwältigend. 1590
holzrahmen mit ansichtskarten, ab und zu auch um "spiegel"-titelbilder
drappiert ("mao ist tot - was wird aus china?") oder um
schwarz-weisse promi-porträts. so redundant die ganze installation formal
wirkt, so vielseitig und anregend ist sie im detail. man wünschte sich immer wieder eine leiter, um auch die oberen
bilderreihen zu erhaschen. der titel
"kulturgeschichte 1880-1983" ist keineswegs zu hoch
gegriffen. denn was auf den ersten blick auf archivierungswahn
hindeutet, ist in wirklichkeit ein faszinierendes jahrhundert-panorama, das die
frage ins zentrum rückt, wie geschichte, politik, kultur überliefert wird. ein
monument der erinnerung.
Donnerstag, 11. Februar 2016
MÜNCHEN: FIDELIO
wieder
einmal ist das bühnenbild eine überwältigende bühnenskulptur: rebecca ringst
hat für calixto bieitos „fidelio“-inszenierung an der bayerischen staatsoper
ein senkrechtes labyrinth aus plexiglas, stahl und neon geschaffen. es blitzt und leuchtet und spiegelt und macht als florestans kerker genauso was her wie als symbol für
die seelischen irrwege der menschen. leonore singt auf dem weg zur befreiung
des gefangenen gatten nicht nur beethoven, sie zitiert auch borges: „das
labyrinth ist eine art von furcht, weil wir darin verloren sind, aber die
hoffnung ist, dass es ein zentrum gibt.“ anja kampe gestaltet diese leonore
ergreifend als plädoyer für zivilcourage und mut, eine hin- und mitreissende
kämpferin für gerechtigkeit und freiheit – sie ist
das zentrum. zubin mehta, der mit bald 80 an das dirigentenpult zurückgekehrt
ist, wo er von 1998 bis 2006 generalmusikdirektor war (und vom münchner publikum
mit dem allerherzlichsten applaus zurückempfangen wird), lässt die utopischen
dimensionen von beethovens einziger oper breit und warm leuchten. doch
regisseur bieito betont immer wieder die fragilität dieser utopie, indem er dem
wohlklang verstörende bilder entgegensetzt: ein gefangener nimmt sich an der
bühnenrampe das leben, und der grosse wohltäter fernando tritt mit der
grimmigen joker-maske aus „the dark knight“ auf. vor dem strahlenden finale
erklingt als kontrastprogramm beethovens streichquartett op. 132 a-moll, schwerste melancholie, die vier musiker sitzen in gitterkäfigen über dem labyrinth. freiheit
ist das thema. nicht euphorie.
Dienstag, 9. Februar 2016
MÜNCHEN: LA SONNAMBULA REMIXED
bellinis
belcanto-orgien werden in der kleinen kammer 3 der münchner kammerspiele mal
von einem flügel begleitet, mal von einem keyboard, einem plattenspieler, einer
spielkonsole oder einem hammerklavier. und immer vom selben mann: daniel
dorsch, klanggestalter, der sich zwischendurch ans publikum wendet und („wo
waren wir stehen geblieben?“) in einer perfekt im dramaturgenslang getränkten
parodie die dimensionen der junggesellenmaschine und die apotheose der braut
als deren motor zu erklären versucht. dabei ist in bellinis „la sonnambula“
alles ganz einfach: amina verliert kurz vor der hochzeit ums haar den
bauernburschen elvino, weil sie – schlafwandelnd – versehentlich in den armen des
gutsbesitzers rodolfo landet; bellini braucht nur zwei akte, bis das wieder
geklärt ist. yuka yanagihara als amina verfügt über einen zauberhaften sopran, kraftvoll,
präzis und schmeichelnd bis in die vielen heiklen koloraturen – ein genuss. elvino
dagegen, eigentlich der tenor, kann hier nicht singen (es ist der schauspieler
hassan akkouch), und rodolfo, eigentlich der bariton, versucht es schon gar
nicht, sondern spielt seine arien auf der trompete (das löst der jazzer paul
brody auch im bademantel ganz meisterhaft). der ungarische regisseur david
marton verfolgt den anspruch, oper jenseits aller opernkonvention zu zeigen,
und zaubert zwischen dem original, alten callas-aufnahmen, jazz und immer wieder auch italo-pop einen höchst vergnüglichen abend, der in den grossen
musikalischen momenten überraschend stimmungsvoll gelingt. bellini remixed, er
hat´s überlebt, die traditionellen opernfans im publikum nur knapp.
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