Mittwoch, 18. November 2015

MÜNCHEN: IVO

bastian, caroline, colin, daniel, irina, jonathan, maike, merlin, nurit, philipp. schöne namen. vier frauen, sechs männer, zwischen 21 und 27 jahre alt. sie sind der vierte jahrgang der otto-falckenberg-schule in münchen, abschlussklasse. sie sind die schauspielerinnen und schauspieler von morgen. ivo ist die abkürzung des grauens für alle schauspielschüler. ivo, intendantenvorsprechen. da sitzen sie dann, die theaterleiter und dramaturginnen und agenten, und glotzen und mustern und entscheiden über karrieren. die falckenberg-klasse gibt alles, poetisches und plakatives, koltès und kroetz, hofmannsthal und tschechow, allein und zu zweit. die ganze kunst und der ganze schweiss - wie immer beim ivo. doch etwas ist anders: die kammerspiele und der schweizer regisseur boris nikitin haben das vorsprechen dieses jahr zu einer öffentlichen veranstaltung gemacht, das vorsprechen findet vier oder fünf mal statt, mit publikum. beim anschliessenden gespräch neben der bühne wird schnell klar: dieses setting ist eine erlösung für die theaterklasse, weil der saal atmet und reagiert; es ist eine erleichterung für die beobachtenden profis, weil sie mit ihrer unangenehmen rolle in einer masse verschwinden können; es ist ein gewinn fürs publikum, das einen entscheidenden moment in einer schauspielerkarriere live miterleben kann. warum also ist dieses öffentliche vorsprechen die ausnahme, nicht die regel? und warum heisst eine veranstaltung, wo so viel bewegung und musik und emotion und kraft den raum füllt, vorsprechen?

Dienstag, 17. November 2015

MÜNCHEN: ROCCO UND SEINE BRÜDER

„im wohnzimmer der parondis“ steht in roter leuchtschrift auf halber bühnenhöhe oder „im boxclub“ oder „auf dem dach der kirche“. der rest: eine grosse, schwarze, meist leere bühne. der rest also: schauspielkunst – und phantasie des zuschauers, die durch keine umbaupause belästigt wird. so einfach erzählt simon stone, seit dieser spielzeit hausregisseur am theater basel, in den münchner kammerspielen jetzt den neorealismo-klassiker „rocco und seine brüder“ von luchino visconti. stone hat die geschichte der familie parondi, die aus dem armen süden in die grosse stadt im norden zieht, überschrieben: aus italien wird irgendwo, aus 1960 wird 2015, die fünf parondi-brüder sprechen eine sehr heutige, sehr schnelle sprache, alles ist emotional aufgeladen, der klassenkampf kennt keine nebensätze. trotz diesem tempo, trotz den harten schnitten gelingt es dem regisseur, seinen figuren pralles leben mitzugeben, sie zu entwickeln bei ihrem versuch, die vergangenheit hinter sich zu lassen. in der gegenwart dreht sich alles nur ums boxen und um die nutte nadia (wunderbar vielschichtig: brigitte hobmeier), die simone am schluss in seiner verzweiflung ermordet. fünf tolle schauspieler, vier davon neu an den kammerspielen, lassen das traditionelle familienbild und die hochtrabenden zukunftspläne sehr plastisch und sehr rasant ins wanken geraten: „diese stadt bringt uns um.“ aus den zuzüglern wird die neue unterschicht. die migrationsdebatte hat ihr déjà vu.

Donnerstag, 12. November 2015

MÜNCHEN: POLT, POLTER, POLTERABEND

die nürnberger gesellschaft für konsumforschung (gfk) ermittelte die häufigsten gründe für streit unter nachbarn in deutschland: ruhestörender lärm, missachtete nachbarpflichten (treppenhausreinigung usw.), stinkende/dreckige/laute haustiere, unfreundlichkeit, störende besucher, lästiger zigarettenrauch, verdreckte gemeinschaftsräume. welches gewicht dieser kleinkrieg im alltag der deutschen hat, welche bedeutung für die befindlichkeit dieser nation, wird erst dadurch vollumfänglich klar, dass gerhard polt ihm ein abendfüllendes programm widmet! zweieinhalb stunden über nachbarschaftsstreitereien!! an den münchner kammerspielen, dem theater der ganz grossen themen und konzepte!!! „ekzem homo“ heisst die veranstaltung, der mensch als plage. kulminationspunkt der poltschen volkskunde ist der satz: „um einen anderen umzubringen, muss man ja nicht zwangsläufig religiös sein.“ vereint mit seinen nach wie vor brillanten musikantenkumpeln, den well-brüdern aus dem biermoos, kämpft sich polt durch laubbläser- und grillrauchattacken, die kleingeistigkeit der ortsfeuerwehr bekommt ihr fett ab, die kleingeistigkeit der laientheatergruppe, die kleingeistigkeit der csu und die kleingeistigkeit der katholischen kirche. immer auch liebevoll augenzwinkernd, immer auch mit hundert gramm philosophie, wobei ihm der gute alte nestroy pate stand: der mensch an und für sich ist gut, aber die leut´ sind ein gesindel. die zahl der nachbarschaftsverfahren vor deutschen gerichten wächst. mag sein, dass man als nicht-deutscher die ultimative brisanz der thematik nicht wirklich nachvollziehen kann oder will, doch auch die scharfe beobachtung des rest-publikums lässt kaum zweifel an der gesamtbilanz: der polt war auch schon polter.

Dienstag, 10. November 2015

MÜNCHEN: MÜNCHEN!

"solange die eltern am leben sind, sollst du keine weiten reisen unternehmen." (konfuzius)